Verfahrensarten oberhalb der EU-Schwellenwerte

Inhaltsverzeichnis

Definition

Oberhalb der EU-Schwellenwerte sind die Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) anzuwenden.  Die Verfahrensarten sind in § 119 GWB geregelt. Demnach erfolgt die Vergabe von öffentlichen Aufträgen im

    • Offenes Verfahren
    • Nicht Offenes Verfahren
    • Verhandlungsverfahren
    • Wettbewerblicher Dialog
    • Innovationspartnerschaft

 

Offenes Verfahren

Das offene Verfahren ist ein Verfahren, in dem der öffentliche Auftraggeber eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Abgabe von Angeboten auffordert (§ 119 Abs. 3 GWB). Der konkrete Ablauf und besondere Einzelheiten des offenen Verfahrens sind in §§ 14, 15, 65 VgV, §§ 3, 3 a, 3 b EU VOB/A, §§ 13, 14 SektVO, § 131 Abs. 1 GWB geregelt.

Nicht Offenes Verfahren

Das nicht offene Verfahren ist ein Verfahren, bei dem der öffentliche Auftraggeber nach vorheriger öffentlicher Aufforderung zur Teilnahme eine beschränkte Anzahl von Unternehmen nach objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien auswählen kann (Teilnahmewettbewerb), die er zur Abgabe von Angeboten auffordert (§ 119 Abs. 4 GWB).

Mit § 119 Abs. 2 S. 1 GWB hat der Gesetzgeber für das nicht offene Verfahren zwingend einen vorgeschalteten öffentlichen Teilnahmewettbewerb angeordnet.

Das nicht offene Verfahren gliedert sich in zwei Phasen. Zunächst findet ein Teilnahmewettbewerb statt, auf den die Aufforderung zur Abgabe von Angeboten folgt. Damit unterscheidet sich das nicht offene vom offenen Verfahren allein dadurch, dass nicht alle interessierten Unternehmen öffentlich zur Abgabe von Angeboten aufgefordert werden. Vielmehr werden nur eine beschränkte Anzahl von Unternehmen, die am Teilnahmewettbewerb teilgenommen haben und die alle Anforderungen des Auftraggebers erfüllen, um Angebote gebeten.

Verhandlungsverfahren

Das Verhandlungsverfahren ist ein Verfahren, bei dem sich der öffentliche Auftraggeber mit oder ohne Teilnahmewettbewerb an ausgewählte Unternehmen wendet, um mit einem oder mehreren dieser Unternehmen über die Angebote zu verhandeln (§ 119 Abs. 5 GWB).

Der bedeutende Unterschied vom Verhandlungsverfahren zu offenem bzw. nicht offenem Verfahren ist, dass sowohl der Leistungsgegenstand nicht bereits in der Ausschreibung in allen Einzelheiten festgeschrieben ist als auch Angebote geändert werden können, nachdem sie abgegeben worden sind.

Ob das Verhandlungsverfahren grundsätzlich zulässig ist, § 119 Abs. 2 S. 2 GWB, richtet sich nach § 14 Abs. 3, 4 VgV, § 65 Abs. 1 VgV, § 74 VgV, § 3 a Abs. 2, 3 EU VOB/A, § 13 Abs. 1, 2 SektVO, §§ 2, 11, 12 VSVgV und § 2 VSVgV iVm § 3 a VS VOB/A und § 131 Abs. 1 GWB.

Wettbewerblicher Dialog

Der wettbewerbliche Dialog ist ein Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge mit dem Ziel der Ermittlung und Festlegung der Mittel, mit denen die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers am besten erfüllt werden können. Nach einem Teilnahmewettbewerb eröffnet der öffentliche Auftraggeber mit den ausgewählten Unternehmen einen Dialog zur Erörterung aller Aspekte der Auftragsvergabe (§ 119 Abs. 6 GWB).

Der Wettbewerbliche Dialog besteht nach wie vor aus drei Stufen, die in § 18 VgV, §§ 3, 3 a, 3 b EU VOB/A, § 17 SektVO näher beschrieben werden. Das Verfahren beginnt auf der ersten Stufe mit einem europaweiten öffentlichen Teilnahmewettbewerb, § 119 Abs. 4 GWB, um die geeigneten Unternehmer für die zweite Stufe, die Dialogphase, auszuwählen. In der Dialogphase entwickelt der Auftraggeber mit den Teilnehmern eine oder mehrere Lösungen für seinen Beschaffungsbedarf. Hiervon umfasst ist auch das erst nachträgliche Konkretisieren der Gewichtung der Zuschlagskriterien, sofern sich hierdurch die ursprünglich genannten Kriterien nicht ändern und kein Bieter diskriminiert wird. Am Ende der Dialogphase dürfen die noch im Wettbewerb verbliebenen Unternehmer abschließende Angebote abgeben. In der dritten Stufe werden diese Angebote geprüft und gewertet, Verhandlungen finden nicht mehr statt. Anschließend wird der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Ob der wettbewerbliche Dialog nach § 119 Abs. 2 S. 2 GWB gestattet ist, richtet sich nach § 14 Abs. 3 VgV, § 65 Abs. 1 VgV, § 74 VgV, § 3 a Abs. 2, 4 EU VOB/A, § 13 Abs. 1 SektVO, §§ 131, 146 GWB.

Innovationspartnerschaft

Die Innovationspartnerschaft ist ein Verfahren zur Entwicklung innovativer, noch nicht auf dem Markt verfügbarer Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen und zum anschließenden Erwerb der daraus hervorgehenden Leistungen. Nach einem Teilnahmewettbewerb verhandelt der öffentliche Auftraggeber in mehreren Phasen mit den ausgewählten Unternehmen über die Erst- und Folgeangebote (§ 119 Abs. 7 GWB).

Ziel einer Innovationspartnerschaft ist es daher, die Neuentwicklung innovativer Produkte oder Dienst- bzw. Bauleistungen zu fördern, die auf dem Markt bisher nicht erhältlich sind, und auf diesem Weg neue Lösungen für den konkreten Auftrag zu finden.

Bei der Innovationspartnerschaft, die im Detail in § 19 VgV beschrieben ist, soll wie folgt verfahren werden: In der Auftragsbekanntmachung bzw. den Vergabeunterlagen wird der Beschaffungsbedarf unter Angabe von Mindestanforderungen beschrieben. Gegenstand des Verfahrens zur Begr. von Innovationspartnerschaften ist sodann zwingend ein Teilnahmewettbewerb gem. § 119 Abs. 4, wobei die in der Auftragsbekanntmachung anzugebenden Eignungskriterien in besonderem Maße der Überprüfung der Fähigkeiten potentieller Auftragnehmer im Bereich Forschung und Entwicklung sowie der Realisierung innovativer Lösungen dienen müssen. Der öffentliche Auftraggeber fordert dann dazu auf, Angebote in Gestalt von Forschungs- und Innovationskonzepten einzureichen. Über diese Erstangebote – sowie über alle Folgeangebote – darf (ggf. in mehreren Phasen) verhandelt werden. Die Innovationspartnerschaft wird gem. § 19 Abs. 7 S. 1 VgV durch Zuschlag auf das endgültige Angebot eines oder bei entsprechender Verfahrensgestaltung ggf. auch mehrerer Bieter begründet. Grundlage der Zuschlagsentscheidung muss das beste Preis-Leistungs-Verhältnis sein.

Wussten Sie schon?

Seit der Vergaberechtsreform dürfen die öffentlichen Auftraggeber nach § 119 Abs. 2 S. 1 GWB zwischen offenem und nicht offenem Verfahren frei wählen. Die übrigen Verfahrensarten (Verhandlungsverfahren, wettbewerblicher Dialog und Innovationspartnerschaft) sind nachranging. Sie stehen den öffentlichen Auftraggebern nur dann zur Verfügung, wenn dies durch das GWB gestattet wird

Das offene Verfahren sorgt für größtmögliche Transparenz eines Beschaffungsvorganges und zielt auf einen unbeschränkten Vergabewettbewerb unter allen interessierten Unternehmen ab. Im deutschen Recht ist mit der Vergabeart außerdem verbunden, dass um Abgabe eines Angebotes im Sinne des bürgerlichen Rechts gebeten wird, das vom Auftraggeber nur noch angenommen zu werden braucht, um die Vertragsbeziehung zustande kommen zu lassen (invitatio ad offerendum).

Das nicht offene Verfahren bewirkt eine Verengung des Zugangs zum Wettbewerb und war bis 2016 nach den bisherigen nationalen Bestimmungen nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Der Gesetzgeber hat in diesem Zusammenhang aber für die seit 2016 festgelegte Gleichrangigkeit mit dem offenen Verfahren auch auf die wünschenswerte Flexibilität bei der Wahl der Verfahrensart für den Auftraggeber unter Hinweis auf Erwägungsgrund 42 RL 2014/24/EU verwiesen.

Bei einem Verhandlungsverfahren bestehen eine hohe Angreifbarkeit und Fehleranfälligkeit. Es empfiehlt sich daher, auch die Verhandlungsgespräche streng zu strukturieren und nach dieser Struktur durchzuführen sowie diesen Vorgang eingehend zu dokumentieren. Die Dokumentation muss so umfassend sein, dass die Gleichbehandlung der Bieter nachvollziehbar belegt ist. In bestimmten Einzelfällen kann die EU-Kommission sogar verlangen, dass ihr ein Bericht über die Wahl des Verhandlungsverfahrens vorzulegen ist (vgl. § 14 Abs. 5 VgV).

Die Bedeutung des wettbewerblichen Dialogs hat seit seiner Einführung zwar zugenommen. Die Rechtsprechung hat sich bislang aber nur in relativ wenigen Entscheidungen mit dem wettbewerblichen Dialog auseinandergesetzt. Angesichts der vielen Parallelen des wettbewerblichen Dialoges mit einem (strukturierten) Verhandlungsverfahren sind die insoweit von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze und Anforderungen jedoch häufig auf den wettbewerblichen Dialog übertragbar.

Für die Verhandlungsphase in der Innovationspartnerschaft gelten die gleichen Verfahrensregeln wie für das Verhandlungsverfahren nach Abs. 6 (vgl. Begr. zum Gesetzesentwurf in BT-Drs. 18/6281, 98). Bei der Innovationspartnerschaft ist ein reiner Preiswettbewerb gem. § 19 Abs. 7 S. 2 VgV – anders als bei den übrigen Verfahrensarten – ausgeschlossen. Es müssen zudem nicht zwingend Verhandlungen mit mehreren Bietern aufgenommen werden.

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