Ver­ga­be­rechts­re­form 2016: Grund­le­gen­des zur Ver­ga­be von Archi­tek­ten- und Inge­nieur­leis­tun­gen – Teil 1*

Es hat sich noch nicht über­all her­um­ge­spro­chen: Die VOF fin­det seit dem 18. April 2016 kei­ne Anwen­dung mehr ober­halb der EU-Schwel­len­wer­te. Unter­halb der EU-Schwel­len­wer­te wur­de sie i.d.R. schon frü­her nicht ange­wandt. Auf­trä­ge über Archi­tek­ten- und Inge­nieur­leis­tun­gen, die ober­halb des EU-Schwel­len­werts lie­gen, sind künf­tig nach der neu­en „Ver­ord­nung über die Ver­ga­be öffent­li­cher Auf­trä­ge“ (Ver­ga­be­ver­ord­nung, VgV) zu ver­ge­ben. Der fol­gen­de Bei­trag soll – in drei Tei­len – die neu­en Rege­lun­gen beleuch­ten. Dabei wer­den aktu­el­le Pro­ble­me genau­so her­vor­ge­ho­ben wie Unter­schie­de zur VOF. Ein Anspruch auf Voll­stän­dig­keit besteht nicht, ein Abriss der Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten der Ver­ga­be von Archi­tek­ten- und Inge­nieur­leis­tun­gen kann nicht gege­ben wer­den. Aller­dings eine ers­te Ori­en­tie­rung.

Ein­lei­tung

Künf­tig ist die VgV für die Ver­ga­be von Archi­tek­ten-und Inge­nieur­leis­tun­gen ein­schlä­gig, wenn und soweit der Auf­trags­wert über (der­zeit) 209.000 Euro net­to liegt.

Im Abschnitt 6 der VgV fin­den sich beson­de­re Vor­schrif­ten für die Ver­ga­be von Archi­tek­ten- und Inge­nieur­leis­tun­gen. Das ist der ers­te gewich­ti­ge Unter­schied zur VOF: Wäh­rend die VOF für alle Frei­be­ruf­ler-Leis­tun­gen ober­halb der Schwel­len­wer­te galt, wobei Archi­tek­ten- und Inge­nieur­leis­tun­gen nur einen Aus­schnitt (wenn auch den wich­tigs­ten) davon dar­stell­ten, betrifft Abschnitt 6 der VgV aus­schließ­lich Archi­tek­ten- und Inge­nieur­leis­tun­gen.

Soweit die Sek­to­ren­ver­ord­nung oder die Ver­ga­be­ver­ord­nung für Ver­tei­di­gung und Sicher­heit anwend­bar sind, ist die VgV ver­drängt und gibt es kei­ne Son­der­re­ge­lun­gen für die Ver­ga­be von Archi­tek­ten- und Inge­nieur­leis­tun­gen.

Schwel­len­wert

Der Schwel­len­wert nach VgV wur­de bereits oben erwähnt. Wenn und soweit die Sek­to­ren­ver­ord­nung ein­schlä­gig ist, beträgt der Auf­trags­wert 418.000 Euro net­to. Bei Bun­des­mi­nis­te­ri­en gilt ein redu­zier­ter Schwel­len­wert, und zwar 135.000 Euro net­to.

Maß­geb­lich für die Auf­trags­wert­be­rech­nung ist § 3 VgV.

Der größ­te Streit­punkt – ange­feu­ert durch ein Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren der EU-Kom­mis­si­on wegen der getrenn­ten Betrach­tung von Fach­pla­nungs­ver­ga­ben bei der Sanie­rung eines Frei­ba­des in Nie­der­sach­sen – ist die Aus­le­gung von § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV. Die EU-Kom­mis­si­on ist der Mei­nung, dass bei der Ver­ga­be unter­schied­li­cher Fach­pla­nungs­leis­tun­gen (zum Bei­spiel Gebäu­de, Frei­an­la­gen, Trag­werk) im Rah­men ein und des­sel­ben Bau­vor­ha­bens der Auf­trags­wert der Fach­pla­nungs­leis­tun­gen zu addie­ren ist. In der Fol­ge ist regel­mä­ßig das EU-Ver­ga­be­recht anzu­wen­den, wenn das Bau­vor­ha­ben eine gewis­se Grö­ße hat.

Deut­sche öffent­li­che Auf­trag­ge­ber waren und sind größ­ten­teils ande­rer Ansicht, wobei eini­ge schon der­zeit unter dem Ein­druck des „Drucks aus Euro­pa“ ins­be­son­de­re im Fal­le des Ein­sat­zes von För­der­mit­teln in einem qua­si vor­aus­ei­len­den Gehor­sam eine Addi­ti­on vor­neh­men.

Man wird abwar­ten müs­sen, wie der EuGH ent­schei­det.

Bedeut­sam ist für die Ver­ga­be von Archi­tek­ten- und Inge­nieur­leis­tun­gen ist § 3 Abs. 9 VgV. Danach darf der öffent­li­che Auf­trag­ge­ber bei der Ver­ga­be ein­zel­ner Lose natio­nal aus­schrei­ben, wenn der geschätz­te Net­to­wert der betref­fen­den Lose unter 80.000 Euro liegt und die Sum­me der Net­to­wer­te die­ser Lose 20 % der Gesamt­wer­te aller Lose nicht über­steigt. Dies kann für Ver­ga­ben von Leis­tun­gen der Leis­tungs­pha­sen 1 und 2 der HOAI rele­vant sein.

Ver­fah­rens­ar­ten

Die VOF sah ledig­lich das Ver­hand­lungs­ver­fah­ren vor. Das ist nicht mehr so: Nach § 74 VgV wer­den Archi­tek­ten- und Inge­nieur­leis­tun­gen „in der Regel“ im Ver­hand­lungs­ver­fah­ren mit Teil­nah­me­wett­be­werb oder im wett­be­werb­li­chen Dia­log ver­ge­ben. Sie kön­nen also auch im offe­nen oder im nicht offe­nen Ver­fah­ren ver­ge­ben wer­den. Man wird dies jedoch dahin inter­pre­tie­ren müs­sen, dass ein Regel-Aus­nah­me-Ver­hält­nis zuguns­ten des Ver­hand­lungs­ver­fah­rens bzw. des wett­be­werb­li­chen Dia­logs, der gleich­be­rech­tigt neben dem Ver­hand­lungs­ver­fah­ren genannt wird, besteht.

Inter­es­sant ist noch, wann der öffent­li­che Auf­trag­ge­ber ein Ver­hand­lungs­ver­fah­ren ohne Teil­nah­me­wett­be­werb durch­füh­ren darf. § 14 Abs. 4 VgV ent­hält dazu meh­re­re Vor­ga­ben. Bei Archi­tek­ten- und Inge­nieur­leis­tun­gen ist § 14 Abs. 4 Nr. 2c sowie Nr. 8 VgV beson­ders rele­vant.

Ver­hand­lungs­ver­fah­ren mit öffent­li­chen Teil­nah­me­wett­be­werb

Nach § 17 Abs. 1 VgV for­dert der öffent­li­che Auf­trag­ge­ber eine unbe­schränk­te Anzahl von Unter­neh­men im Rah­men eines Teil­nah­me­wett­be­werbs öffent­lich zur Abga­be von Teil­nah­me­an­trä­gen auf. Jedes inter­es­sier­te Unter­neh­men kann dann einen Teil­nah­me­an­trag abge­ben, wobei die Unter­neh­men gehal­ten sind, mit dem Teil­nah­me­an­trag die vom öffent­li­chen Auf­trag­ge­ber gefor­der­ten Infor­ma­tio­nen für die Prü­fung der Eig­nung zu über­mit­teln.

Die Frist für den Ein­gang der Teil­nah­me­an­trä­ge wird min­des­tens drei­ßig Tage betra­gen. Auch kann der öffent­li­che Auf­trag­ge­ber die Zahl der Bewer­ber, die geeig­net sind und anschlie­ßend zur Ange­bots­ab­ga­be auf­ge­for­dert wer­den, von vor­ne­her­ein begren­zen.

Die Ange­bots­frist beträgt min­des­tens wei­te­re drei­ßig Tage. Die­se Frist kann ver­kürzt sein im Fal­le der Ver­öf­fent­li­chung einer Vor­in­for­ma­ti­on oder bei der elek­tro­ni­schen Ange­bots­über­mitt­lung, die in abseh­ba­rer Zeit ohne­dies zur all­ge­mei­nen Pflicht wer­den wird.

Über die ein­ge­reich­ten Erst­an­ge­bo­te sowie sämt­li­che Fol­ge­an­ge­bo­te ist zu ver­han­deln. Was jedoch den Ver­hand­lun­gen ent­zo­gen ist: die in den Ver­ga­be­un­ter­la­gen fest­ge­leg­ten Min­dest­an­for­de­run­gen sowie die Zuschlags­kri­te­ri­en. Aller­dings gibt es auch einen „Aus­weg aus der Ver­hand­lungs­pflicht“: der öffent­li­che Auf­trag­ge­ber kann nach § 17 Abs. 11 VgV den Auf­trag auf der Grund­la­ge der Erst­an­ge­bo­te ver­ge­ben, ohne in Ver­hand­lun­gen ein­zu­tre­ten, wenn er sich in der Auf­trags­be­kannt­ma­chung oder in der Auf­for­de­rung zur Inter­es­sens­be­stä­ti­gung die­se Mög­lich­keit vor­be­hal­ten hat.

Lesen Sie mehr in Teil 2 die­ses Bei­trags.

*Die­ser Rechts­tipp ersetzt kei­nen anwalt­li­chen Rat im Ein­zel­fall. Er ist natur­ge­mäß unvoll­stän­dig, auch ist er nicht auf Ihren Fall bezo­gen und stellt zudem eine Moment­auf­nah­me dar, da sich gesetz­li­che Grund­la­gen und Recht­spre­chung im Lauf der Zeit ändern. Er kann und will nicht alle denk­ba­ren Kon­stel­la­tio­nen abde­cken, dient Unter­hal­tungs- und Erst­ori­en­tie­rungs­zwe­cken und soll Sie zur früh­zei­ti­gen Abklä­rung von Rechts­fra­gen moti­vie­ren, nicht aber davon abhal­ten.

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