Unser Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht Stefan Didt hat sich in unserem letzten abante live mit dem Urteil des OLG Stuttgart, 10 U 22/23, auseinandergesetzt. Schauen Sie sich hier das Replay auf unserem YouTube-Kanal an:
OLG Stuttgart konkretisiert Anforderungen an Bauzeitansprüche: Ein Musterbeispiel für Auftragnehmer
Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat im Berufungsverfahren (Az. 10 U 22/23) bestätigt, dass Ansprüche auf Mehrvergütung wegen Bauzeitverzögerungen nur dann geltend gemacht werden können, wenn die Verzögerungen und ihre Auswirkungen auf die Auftragsausführung beim Auftraggeber detailliert dargelegt werden. Diese Entscheidung steht im Einklang mit vorherigen Urteilen anderer Gerichte und bietet ein klares Musterbeispiel dafür, wie Auftragnehmer ihre Ansprüche korrekt darlegen müssen, um Erfolg zu haben.
Das Urteil des OLG Stuttgart besteht aus drei wesentlichen Teilen:
- Privilegierung der VOB/B: Eine vom Auftraggeber in den Bauvertrag einbezogene Klausel, die den Auftragnehmer zur Abstimmung mit weiteren Auftragnehmern verpflichtet, stellt eine Abweichung von § 4 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B 2012 dar und führt zu einer Inhaltskontrolle der VOB/B nach § 307 BGB zu Lasten des Verwenders.
- Einvernehmliche Vertragsaufhebung und Kündigungsvergütung: Die Rechtsfolgen einer einverständlichen Vertragsaufhebung sind durch Auslegung zu ermitteln. Abhängig von den Umständen kann die Vertragsaufhebung die Folgen einer freien Kündigung, einer außerordentlichen Kündigung oder lediglich die Vergütung erbrachter Leistungen nach sich ziehen.
- Darstellung und Beweisführung von bauzeitbezogenen Ansprüchen: Die Anforderungen an die detaillierte Darlegung und Beweisführung von Mehrvergütungsansprüchen wegen Bauzeitverzögerungen.
In unserem Blogbeitrag sowie Video geht es dabei insbesondere um den dritten Punkt.
Hintergrund und Sachverhalt
Im vorliegenden Fall ging es um den Bau eines Gymnasiums in Tübingen, für den Dachdeckerarbeiten ausgeschrieben und an die Klägerin vergeben wurden. Während der Bauphase soll es zu mehreren Behinderungen gekommen sein, unter anderem durch ein Wespennest im Fallrohr, die Sperrung des Dachzugangs und Unsicherheiten bei der Materialwahl für die Dachgauben. Diese Umstände führten nach Aussage der Klägerin dazu, dass sie ihre Arbeiten nicht wie geplant ausführen konnte. Allerdings zeigte die Klägerin die Behinderungen nicht an.
Die Klägerin stellte nach der einvernehmlichen Vertragsaufhebung in der Abschlussrechnung Mehrforderungen, unter anderem für 273 Bauleiterstunden und zusätzliche An- und Abfahrten, die sie auf die behauptete fremdverschuldeten Bauzeitverzögerungen zurückführte. Diese Forderungen wurden von der Auftraggeberin abgelehnt, woraufhin die Klägerin Klage beim Landgericht Tübingen einreichte. Das Landgericht wies die Klage ab, und das OLG Stuttgart bestätigte diese Entscheidung im Berufungsverfahren.
Fazit
Das Urteil des OLG Stuttgart verdeutlicht, wie wichtig eine detaillierte und präzise Dokumentation bei Bauzeitverzögerungen ist. Auftragnehmer müssen sicherstellen, dass sie Behinderungen rechtzeitig anzeigen und die daraus resultierenden Verzögerungen sowie die damit verbundenen Mehrkosten ausführlich darlegen. Für den Auftraggeber muss klar ersichtlich sein, dass und wie diese Behinderung tatsächlich zu einer Bauzeitverzögerung führt. Zudem ist entscheidend, dass ausgeführt wird, wie die Verzögerung sich auf die Leistungen des Auftragnehmers ausgewirkt haben. Dieses Urteil kann als Beispiel für Auftragnehmer dienen, die ihre Forderungen rechtskonform und schlüssig vorbringen wollen und verdeutlicht gleichzeitig die hohen Anforderungen an den Vortrag bei bauzeitbezogenen Ansprüchen.
Wichtigste Erkenntnis für Auftragnehmer
Auftragnehmer: Eine gründliche und präzise Dokumentation von Bauzeitverzögerungen ist unerlässlich. Stellen Sie sicher, dass Behinderungen rechtzeitig angezeigt und deren Auswirkungen detailliert dokumentiert werden. Selbst wenn eine Behinderung offenkundig ist, müssen die genauen Auswirkungen auf den Bauablauf und vor allem die entstehenden Mehrkosten für den Auftraggeber nachvollziehbar dargestellt werden. Nur durch eine umfassende und nachvollziehbare Darstellung können Ansprüche auf Mehrvergütung erfolgreich geltend gemacht werden.
Hinweis: Dieser Rechtstipp ersetzt keinen anwaltlichen Rat im Einzelfall. Er ist naturgemäß unvollständig, auch ist er nicht auf Ihren Fall bezogen und stellt zudem eine Momentaufnahme dar, da sich gesetzliche Grundlagen und Rechtsprechung im Lauf der Zeit ändern. Er kann und will nicht alle denkbaren Konstellationen abdecken, dient Unterhaltungs- und Erstorientierungszwecken und soll Sie zur frühzeitigen Abklärung von Rechtsfragen motivieren, nicht aber davon abhalten. abante Rechtsanwälte war nicht am Verfahren beteiligt und hat keine Partei im Streitverfahren vertreten.
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