Vergabekammer Thüringen. Beschluss vom 09.10.2020, Az.: 250‑4003-3711/2020-E-008-GTH
Leitsätze
Die Rüge der Bewertungsmethode ist nicht präkludiert, sofern für die Bieter die Rechtswidrigkeit des Wertungssystems nicht bereits aus den Vergabeunterlagen erkennbar war.
Die klassische Mittelwertmethode ist vergaberechtswidrig, sofern dadurch kostspieligere Angebote, die dem berechneten Durchschnittswert bei gleichen Bedingungen näherkommen als günstigere Angebot, besser bewertet werden.
Sachverhalt
Zugrunde liegt eine Ausschreibung des Auftraggebers im Rahmen eines offenen Verfahrens zur Erbringung von Leistungen der Unterhalts- und Grundreinigung in den Schulen eines Landkreises. Der Zuschlag sollte auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt werden, welches in 3 Stufen ermittelt werden sollte.
- Zunächst wird der Durchschnitt aller angegebenen Leistungswerte der Raumgruppe A1 (Klassenzimmer) aller Bitter ermittelt (Marktwert). In der Wertung verbleiben alle Bieter, die nicht mehr als 10% nach oben oder unten vom Marktwert abweichen.
- Im Anschluss auf der zweiten Stufe wird der Durchschnitt der Stundenverrechnungssätze (Marktwert) gebildet. Bieter, die mehr als 2,5 % nach oben oder nach unten abweichen, sind nicht mehr Teil der Wertung.
- Auf der dritten Stufe wird der Zuschlag dem Bieter erteilt, der den besten Preis hat.
Nachdem der Antragsteller aus formellen Gründen ausgeschlossen worden war, rügte er, inzwischen anwaltlich vertreten, das Wertungssystem.
Rechtliche Würdigung
Aus Sicht der Vergabekammer Thüringen war die Antragstellerin antragsbefugt. So es es der Antragstellerin nicht zuzumuten, dass sie die Rechtswidrigkeit der Bewertungsmethode bereits aus den Vergabeunterlagen erkenne. Maßstab für die Erkennbarkeit sei ein durchschnittlicher fachkundiger Bieter, der ohne anwaltlichen Rat bei üblicher Sorgfalt und üblicher Kenntnis ein Vergabeverstoß erkennen könne. Die Voraussetzungen müssen jedoch praktisch umsetzbar bleiben, sodass vertiefte vergaberechtliche Rechtskenntnisse nicht vorausgesetzt werden dürfen. Die Vergaberechtswidrigkeit der Bewertungsmethode war danach nicht bereits aus den Vergabeunterlagen erkennbar.
Diese Methode sei auch materiell vergaberechtswidrig. Aus der Gesetzesbegründung zu § 127 GWB ergebe sich, dass Zuschlagskriterien mit einer Wertungsskala festzulegen seien. Bei der im vorliegenden Fall angewandten Mittelwertmethode wurde jedoch keine Wertungsskala festgelegt, sondern es wurden lediglich Durchschnitte berechnet. Dies habe zur Folge, dass nicht das wirtschaftlichste Angebot bezuschlagt werde, sondern das Angebot, welches am wenigsten vom Mittelwert abweiche. Diese Bewertungsmethode nehme den Anreiz, ein kostengünstiges Angebot abzugeben. Diese Vorgehensweise umgehe zudem vergaberechtswidrig die Prüfungspflicht des Auftraggebers bezüglich der Auskömmlichkeit. Die Auskömmlichkeitsprüfung sei vom Auftraggeber unabhängig von der inhaltlichen Angebotswertung durchzuführen. In der Rechtsprechung ist ein Wert von 10%-20% Abweichung zum nächsthöheren Angebot anerkannt Der Auftraggeber hat jedoch im Laufe des Verfahrens die nächsthören Angebote auf Stufe 2 der Bewertung sämtlich ausgeschlossen, sodass es nicht zu einer Auskömmlichkeitsprüfung gekommen sei und auch nicht kommen könne.
Schließlich merkt die Vergabekammer auch an, dass die in diesem Verfahren genutzte Bewertungsmethode nicht der Verpflichtung des Auftragsgeber zur wirtschaftlichen und sparsamen Haushaltsführung entspreche.
Fazit
Eine Mittelwertmethode als Bewertungsmethode ist anfällig und risikobehaftet, weshalb diese Methode mit großer Vorsicht zu genießen ist. Gerade in der Ausschreibung von Reinigungsleistungen sind diese Methode und verwandte Methoden sehr beliebt. Das ist überraschend angesichts der Kritik der Rechtsprechung, aber es ist so. Für Bieter bedeutet dies, dass sie u.U. sogar recht spät in der Vergabe eine zweite Chance erlangen können.
*Dieser Rechtstipp ersetzt keinen anwaltlichen Rat im Einzelfall. Er ist naturgemäß unvollständig, auch ist er nicht auf Ihren Fall bezogen und stellt zudem eine Momentaufnahme dar, da sich gesetzliche Grundlagen und Rechtsprechung im Lauf der Zeit ändern. Er kann und will nicht alle denkbaren Konstellationen abdecken, dient Unterhaltungs- und Erstorientierungszwecken und soll Sie zur frühzeitigen Abklärung von Rechtsfragen motivieren, nicht aber davon abhalten.