Teil 2: Rechtsschutz – Die Beschleunigung der Beschleunigung
Ende September letzten Jahres wurde der Referentenentwurf zum Vergabetransformationsgesetz – welcher eine umfassende Überarbeitung der bundesrechtlichen Vergaberechtsnormen im Ober- wie im Unterschwellenbereich vorsieht – veröffentlicht und damit das Ergebnis eines Prozesses, welcher vor knapp zwei Jahren begann.
In einem ersten Beitrag setzten sich Friedrich Schnoor und Dr. Ferdinand Moors kritisch mit diesem Entwurf auseinander und fokussierten sich auf das Thema „Nachhaltige Beschaffung“. In diesem zweiten Teil rücken die Auswirkungen auf den Rechtsschutz in den Fokus der Betrachtung.
Rechtsschutz – Die Beschleunigung der Beschleunigung
Schon jetzt gilt im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer das Beschleunigungsgebot (§ 167 GWB). Der GWB-RefE bezweckt jedoch eine weitere Beschleunigung des Nachprüfungsverfahrens. Welche Veränderungen der Entwurf bei seiner Verabschiedung als Gesetz mit sich brächte und ob diese Veränderungen mit Blick auf die unionsrechtlichen Vorgaben einem kritischen Blick des EuGH standhielten, soll im Folgenden erörtert werden.
Problemdarstellung und Zielsetzung des Referentenentwurfes
Der Referentenentwurf würdigt zunächst einmal die Bedeutung der öffentlichen Beschaffung als „Wirtschaftsmotor“ und konstatiert, dass aufgrund von „vielfältigen Herausforderungen“ und wegen „drängender Zukunftsfragen“ weiterer Reform- bzw. genauer Vereinfachungsbedarf bestünde.
Neben anderen Zielen bewertet der Entwurf „eine Beschleunigung des Vergabeverfahrens“ als „von hoher Bedeutung“. Darum soll es im Folgenden gehen.
Der Lösungsansatz des Referentenentwurfes
Um diese Beschleunigung zu erreichen, enthält der Referentenentwurf mehrere Maßnahmen:
- eine stärkere Digitalisierung,
- die Übertragung von Entscheidungen auf Vorsitzenden oder Beisitzer,
- die Verbesserung der Rechtssicherheit,
- die Erweiterung der Möglichkeit einer Entscheidung nach Aktenlage sowie
- die Begrenzung des Entscheidungszeitraumes der Vergabekammern.
Die Änderungsvorschläge im Einzelnen
Artikel 1 des GWB-RefE enthält die geplanten Änderungen des GWB. Änderungen des Nachprüfungsverfahrens sind in den Nummern 25 bis 40 enthalten. Das GWB-RefE bringt also gleich eine ganze Reihe von Änderungen mit sich.
Die Änderungsvorschläge des Referentenentwurfes sollen im Folgenden sortiert nach den eben skizzierten Maßnahmen erörtert werden. Der Schwerpunkt des Referentenentwurfes liegt dabei auf der Digitalisierung.
- Die Digitalisierung des Vergabeverfahrens
- Ersetzung der Schriftform durch Textform
Die Digitalisierung des Nachprüfungsverfahrens strebt der GWB-RefE insbesondere dadurch an, dass er die Schriftform durch die Textform ersetzt. So soll z.B. in § 158 Abs. 3 GWB idF des GWB-RefE (Art. 1 Nr. 26 b) des Entwurfes) festgelegt werden, dass das Nachprüfungsverfahren grundsätzlich in Textform „geführt” wird. Bisher ist nach § 161 Abs. 1 GWB die Schriftform vorgegeben. Ähnliche Änderungen sehen Art. 1 Nr. 29, 33 c), 34 und 36 des Entwurfes vor.
Die Begründung des Referentenentwurfes verweist implizit zutreffend darauf, dass es sich beim Nachprüfungsverfahren um ein Verwaltungsverfahren und damit um kein Gerichtsverfahren handelt (vgl. § 170 GWB, ferner OLG Schleswig, Beschluss vom 26.09.2019 – 54 Verg 4/19) – jedenfalls im Sinne des nationalen Rechts, dazu später mehr. Deshalb gilt § 3a VwVfG, der die Hürden dafür setzt, die Schriftform durch die elektronische Form zu ersetzen. Demnach bedarf es einer qualifizierten elektronischen Signatur (§ 3a Abs. 2 S. 2 VwVfG) oder eines besonderen Übermittlungsweges, der ebenfalls die Authentifizierung ermöglicht (§ 3a Abs. 3 VwVfG).
Legt man die aktuelle eher geringe Zahl an Nachprüfungsverfahren in Deutschland zugrunde, brächte die Änderung der Formvorgaben wahrscheinlich keine stärkere Inanspruchnahme des Nachprüfungsverfahrens mit sich – obwohl dann ein Nachprüfungsverfahren „bequem“ per E‑Mail einleitbar wäre. Hierbei ist nämlich zu beachten, dass das Nachprüfungsverfahren ein Verwaltungsverfahren ist. Die elektronische Kommunikation mit einem nicht anwaltlich vertretenen Auftraggeber oder Bieter kann deshalb nur unter den Voraussetzungen des § 3a VwVfG erfolgen, wie die Begründung des GWB-RefE erwähnt. Inwieweit nicht anwaltlich vertretene Bieter diesen Kommunikationsweg wählen werden, bleibt abzuwarten.
Eine Beschleunigung ist daraus nicht zu erwarten.
Elektronische Akteneinsicht und ‑übermittlung
Ein weiterer Schritt in Richtung Digitalisierung ist in Art. 1 Nr. 31 des Entwurfes enthalten. Danach soll in § 165 Abs. 1 GWB folgender Satz 2 ergänzt werden:
„Die Vergabekammer soll die Akteneinsicht elektronisch durch Übermittlung
oder zum Abruf auf einem sicheren Übermittlungsweg gewähren.“
Durch diese Vorschrift soll die bisher schon per E‑Mail oder Fax erledigte Akteneinsicht in der Regel elektronisch durchgeführt werden. Da nicht alle Bieter einen sicheren Übermittlungsweg vorhalten, dürften viele Bieter sich im Nachprüfungsverfahren anwaltlich vertreten lassen. Empfehlenswert ist das sowieso. Die Aktenübermittlung – bei einer sofortigen Beschwerde nach § 171 GWB – von der Vergabekammer zu dem Oberlandesgericht soll nach Art. 1 Nr. 36 des Entwurfes durch Ergänzung eines § 172 Abs. 5 GWB idF des GWB-RefE nunmehr elektronisch erfolgen.
Diese Regelung ist zu begrüßen, denn sie macht die Übermittlung der Akten obligatorisch. Bisher besteht nämlich das Problem, dass die Vergabekammern die Akten gelegentlich nicht oder nicht rechtzeitig übermitteln.
Bild- und Tonübertragung der Verhandlung
Sowohl die Verhandlung vor der Vergabekammer (Art. 1 Nr. 32 b) des Entwurfes) als auch die Verhandlung vor dem Oberlandesgericht im Fall einer sofortigen Beschwerde (Art. 1 Nr. 38 des Entwurfes) sollen nach dem GWB-RefE auf Grundlage einer Ergänzung des § 166 GWB und des § 175 Abs. 2 GWB im Wege der Bild- und Tonübertragung durchgeführt werden können.
Dieser Reformvorstoß verläuft parallel zu Bemühung der weiteren Digitalisierung der Justiz (vgl. das „Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz“, BGBl. I 2024, Nr. 234). Das wirft freilich die Frage auf, wieso denn das Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern hier wie ein Gerichtsverfahren „nachgebessert“ wird. Wie schon dargelegt, ist das Nachprüfungsverfahren gerade kein Gerichtsverfahren im Sinne des nationalen Rechts. Das VwVfG kennt gerade keine Videoverhandlung. Aber dazu später mehr.
Kodifizierung der „Fax-Rechtsprechung“
Flankierend zur Ersetzung der Schriftform durch die Textform sieht Art. 1 Nr. 28 b) GWB-RefE vor, § 161 Abs. 1 GWB um folgenden Satz 4 zu ergänzen:
„Ein elektronisches Dokument ist eingegangen, sobald es auf der für den Empfänger bestimmten Einrichtung der Vergabekammer gespeichert ist.“
Dies sei laut RefE notwendig wegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Denn diese habe bisher verlangt, dass ein nicht schriftlich eingegangener Nachprüfungsantrag erst mit Ausdruck des übermittelten Dokumentes bei der Vergabekammer eingegangen sei. Welche konkrete vergaberechtliche (!) Rechtsprechung der GWB-RefE im Auge hat, ist unklar. Jedenfalls möchte der Gesetzgeber mit Art. 1 Nr. 28 b) GWB-RefE, den Gedanken aus der schon etwas angestaubten Rechtsprechung des BGH zum Zugang von (nicht vergaberechtlichen!) Rechtsbehelfen auf dem Faxgerät des Gerichtes in Gesetzesform zu gießen (Beschluss vom 25. April 2006, IV ZB 20/05).
Selbiges hat der Gesetzgeber bereits mit den § 130a Abs. 5 S. 1 ZPO, § 55a Abs. 5 S. 1 VwGO, § 32a Abs. 5 S. 1 StPO, § 46c Abs. 5 S. 1 ArbGG, § 52a Abs. 5 S. 1 FGO sowie § 65a Abs. 5 S. 1 SGG getan.
Auch hier wird wieder deutlich: der Gesetzgeber gestaltet das Nachprüfungsverfahren bewusst wie ein gerichtliches Verfahren aus.
Die Übertragung von Entscheidungen
Eine weitere Parallele zum gerichtlichen Verfahren schlägt der Referentenentwurf durch eine Reihe von Änderungen vor, die Entscheidungen durch eine Person (namentlich den Vorsitzenden oder den hauptamtlichen Beisitzer) ermöglichen.
Dazu zählt, die verfahrensleitenden Verfügungen (Art. 1 Nr. 25 a) GWB-RefE) bis hin zum ganzen Verfahren (Nr. 25 c) GWB-RefE) auf den Vorsitzenden oder den hauptamtlichen Beisitzer zu übertragen.
Laut dem Referentenentwurf hat das folgenden Sinn: Mit der Umgestaltung der Entscheidungszuständigkeit muss die Vergabekammer nunmehr nicht mehr in voller Besetzung darüber entscheiden, dass sie die Entscheidung einem ihrer Mitglieder überträgt (S. 83). Das trägt zweifellos zur Beschleunigung bei.
Davon ausgehend wird die Beiladung (Art. 1 Nr. 29 GWB-RefE), die Prüfung der offensichtlichen Unzulässigkeit oder Unbegründetheit (Art. 1 Nr. 30 GWB-RefE), die Verlängerung der Entscheidungsfrist nach § 167 Abs. 1 S. 2 GWB idF des GWB-RefE (Art. 1 Nr. 33 a) GWB-RefE), die Information des Auftraggebers über den Nachprüfungsantrag nach § 169 Abs. 1 GWB idF des GWB-RefE (Art. 1 Nr. 35 a) GWB-RefE) sowie die Zustellung eines Schriftsatzes an den Antragsteller nach § 159 Abs. 4 S. 1 2. Hs. GWB idF des GWB-RefE (Art. 1 Nr. 35 b) GWB-RefE) auf den Vorsitzenden oder einen hauptamtlichen Beisitzer übertragen.
Die Übertragung sichert die Entscheidungsfähigkeit der Vergabekammern. Verzögerungen dadurch, dass die ehrenamtlichen Beisitzer nicht für eine Entscheidung zur Verfügung stehen, werden dadurch weitestgehend vermieden.
Verbesserung der Rechtssicherheit
Unklar bleibt im Gesetzgebungsentwurf, inwiefern das GWB-RefE die Rechtssicherheit verbessern wird.
Sicher, der GWB-RefE macht unmissverständlich klar, dass die Vergabekammer grundsätzlich nicht in voller Besetzung, sondern durch den Vorsitzenden oder einen hauptamtlichen Beisitzer entscheidet. Die Übertragungsentscheidung ist bereits jetzt unanfechtbar (§ 167 Abs. 3 S. 1 GWB), eine Besetzungsrüge wie im Strafprozess (§ 338 Nr. 1 StPO) kennt das GWB nicht.
Welcher Mehrwert an Rechtssicherheit für Auftraggeber und Bieter gewonnen ist, bleibt dabei fraglich. Art. 1 Nr. 27 GWB-RefE mit der geplanten Entfall der Antragsbefugnis bei Missbrauch erhöht die Rechtssicherheit ebenfalls nicht. Im Gegenteil. Andere Vorschriften kommen hinsichtlich einer größeren Rechtssicherheit nicht in Betracht.
Entscheidung nach Aktenlage und in kürzerer Zeit
Ausdruck der Beschleunigung der Beschleunigung sind zwei weitere Änderungen.
Zum einen soll die Vergabekammer unter weiteren Voraussetzungen nach Aktenlage entscheiden können. Schon jetzt kann nach § 166 Abs. 1 S. 2 GWB die Vergabekammer nach Lage der Akten entscheiden, wenn die Beteiligten zustimmen oder der Nachprüfungsantrag offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist.
Art. 1 Nr. 32 a) des GWB-RefE sieht – § 166 Abs. 1 GWB ergänzend – vor, dass nunmehr auch dann nach Aktenlage entschieden werden kann, wenn dies für die Beschleunigung zweckmäßig ist und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten in rechtlicher oder (!) tatsächlicher Hinsicht aufweist.
Zum anderen knöpft sich Art. 1 Nr. 33 b) des GWB-RefE die Regelung der Entscheidungsfrist in § 167 Abs. 1 S. 3 GWB vor und ergänzt diese Regelung wie folgt: Die bereits um zwei Wochen verlängerte Entscheidungsfrist ist im Regelfall („soll“) nicht durch erneute (zweite) Entscheidung zu verlängern. In Ausnahmefällen soll dies aber möglich sein. Der Referentenentwurf statuiert:
„Die ausnahmsweise Notwendigkeit bedarf jedoch eines besonderen Begründungsaufwands durch den Vorsitzenden bzw. des hauptamtlichen Beisitzers.“
Andere Änderungen
Die weiteren Änderungen, die nicht in das Raster der angestrebten Ziele passen, sind zum einen kurios, zum anderen einschneidend.
a) Ausweitung des Spruchrichterprivilegs
Auf den ersten Blick kurios weitet Art. 1 Nr. 25 d) GWB-RefE das sogenannte „Spruchrichterprivileg“ auf die Mitglieder der Vergabekammern aus. Dies hat mit Transformation auf den ersten Blick wenig zu tun, sondern beendet nur einen Meinungsstreit in der vergaberechtlichen Literatur über die direkte oder analoge Anwendung des § 839 Abs. 2 BGB auf die Vergabekammern (vgl. Horn/Hofmann, in Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 4. Auflage, § 157 Rn. 43).
Der GWB-RefE begründet dies mit Verweis auf ein Urteil des EuGH vom 18. September 2014 (!) (nämlich in der Rechtssache C‑549/13, Rn. 23ff). Darin werden die Vergabekammern als – vorlageberechtigte – Gerichte im Sinne des Unionsrechts qualifiziert.
Die Arbeit der Vergabekammern sei risikogeneigt, so der GWB-RefE. Der Verweis auf die Gefahr, durch Gewährung von Akteneinsicht eine Straftat nach § 203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen) zu begehen, scheint nicht zu passen.
Denn das zivilrechtliche (!) Haftungsprivileg nach § 839 Abs. 2 S. 1 a.E. BGB ist gar nicht anwendbar, wenn die Pflichtverletzung eine Straftat ist. Deshalb nimmt § 839 Abs. 2 BGB die Mitglieder der Vergabekammer gerade nicht von einer etwaigen strafrechtlichen (!) Verantwortlichkeit wegen § 203 StGB (und/oder § 23 GeschGehG) aus.
Die Ergänzung des § 157 GWB um einen Absatz 4 mit Verweis auf § 839 Abs. 2 BGB ändert an der materiellen Rechtslage wohl nur hinsichtlich der Frage der zivilrechtlichen Haftung (Regresshaftung) etwas. Konkret geht es z.B. um die Fälle, in denen die Vergabekammer dem Auftraggeber nach § 169 Abs. 2 S. 1 GWB vorab gestattet, den Zuschlag zu erteilen. Dagegen kann der Antragsteller des Nachprüfungsverfahren einen Antrag auf Wiederherstellung des Verbotes erheben. Kommt dieser Antrag jedoch zu spät, kann der einmal erteilte Zuschlag nicht aufgehoben werden (§ 169 Abs. 2 S. 6 iVm § 168 Abs. 2 S. 1 GWB). Beantragt der Bieter in dieser Situation die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Zuschlags gemäß § 178 S. 3 GWB, kann das Beschwerdegericht dies feststellen. Stellt das Beschwerdegericht die Rechtswidrigkeit fest, könnte der Bieter ggf. einen Amtshaftungsanspruch nach Art. 34 GG, § 83 BGB gegen das Land, dessen Vergabekammer entschieden hat, (oder bei Entscheidungen des Bundeskartellamtes gegen den Bund) geltend machen. Das zuständige Landgericht (§ 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG) wäre dann an die Entscheidung des Beschwerdegerichtes gebunden (§ 179 Abs. 1 GWB). Ohne das Spruchrichterprivileg wäre das betreffende Land bzw. der Bund verpflichtet, den entstandenen Schaden zu ersetzen.
Mit Blick darauf senkt die Übertragung des Spruchrichterprivilegs die rechtlichen Risiken der Arbeit der Vergabekammern. Dies könnte zu einer starken Häufung der Vorabgestattung und damit zu einer Beschleunigung der Nachprüfungs- und Vergabeverfahren führen.
Änderungen der Wirkungen der sofortigen Beschwerde
Weil die Entscheidung der Vergabekammer über den Nachprüfungsantrag in der Form eines Verwaltungsaktes iSv § 35 VwVfG ergeht (§ 167 Abs. 3 S. 1 GWB), bedarf es dagegen eines besonderen Rechtsschutzes, der in § 173 GWB dem § 80 VwGO nachgestaltet ist.
Wie es auch in § 80 Abs. 1 VwGO für verwaltungsprozessuale Rechtsbehelfe geregelt ist, hat die sofortige Beschwerde aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer, § 173 Abs. 1 S. 1 GWB. Diese entfällt jedoch nach § 173 Abs. 1 S. 2 GWB innerhalb von zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist. Hat die Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt, so kann nach bisher geltendem Recht das Beschwerdegericht auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängern (§ 173 Abs. 1 S. 3 GWB). Diese Verlängerung soll nach dem Willen des BMWK nur noch „ausnahmsweise“ gewährt werden. So sieht es Art. 1 Nr. 37 a) GWB-RefE vor.
Zudem soll nach Art. 1 Nr. 37 b) GWB-RefE der Maßstab für die Entscheidung über einen Antrag nach § 173 Abs. 1 S. 3 GWB verändert werden. Aktuell sieht § 173 Abs. 2 S. 1 GWB vor, dass das Gericht den Antrag nach § 173 Abs. 1 S. 3 GWB ablehnt, wenn die nachteiligen Folgen der Verzögerung der Vergabe die damit – für den Antragsteller – verbundenen Vorteile überwiegen. Diesen aus § 80 Abs. 5 VwGO bekannten Maßstab will der GWB-RefE wie folgt ändern, indem § 173 Abs. 2 S. 1 GWB idF des GWB-RefE so lauten soll:
„Das Gericht gibt dem Antrag nach Absatz 1 Satz 3 nur statt, wenn unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen die vorteilhaften Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die Beschwerde die damit verbundenen Nachteile überwiegen.“
Nach § 173 Abs. 2 S. 4 GWB idF des GWB-RefE soll das Gericht nunmehr „vorrangig“ die dort genannten Umstände berücksichtigen.
Die Begründung für diese kleine „Revolution“ des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes ist sehr knapp und basiert auf einer merkwürdigen Vorannahme (S. 92 GWB-RefE).
Zunächst behauptet der GWB-RefE, die Gewährung der Verlängerung der aufschiebenden Wirkung sei nach geltendem Recht der Ausnahmefall, in der Praxis aber der Regelfall. Wieso nach geltendem Recht die Gewährung der Verlängerung der Regelfall sein soll, bleibt unklar. Das automatische Auslaufen nach zwei Wochen dient der Beschleunigung des Verfahrens insgesamt, gibt aber kein Präjudiz hinsichtlich der Frage nach der Verlängerung. Auch aus der gesetzgeberischen Begründung zur Vorgängerregelung des § 115 GWB lässt sich ein Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht entnehmen (vgl. BT-Drs. 16/10117 S. 42). Dass die Gewährung der Verlängerung der aufschiebenden Wirkung in der Praxis der Regelfall geworden ist, steht auf einem anderen Blatt.
Darauf aufbauend führt der GWB-RefE aus:
„Dies gewährleistet zwar einen besonders effektiven Primärrechtsschutz, da der Zuschlag in der Zwischenzeit nicht erteilt werden kann. Aufgrund der häufig sehr langen Beschwerdeverfahren vor den Oberlandesgerichten führt dies jedoch teilweise zu sehr erheblichen Verzögerungen öffentlicher Aufträge trotz eines nicht nur vor der Vergabekammer, sondern auch schlussendlichen Obsiegens des Auftraggebers.“
Unklar bleibt hier, wieso nicht die Entscheidungsfrist für die Oberlandesgerichte – wie für die Vergabekammern nach § 167 Abs. 1 S. 1 GWB – gesetzlich determiniert ist. Der Einwand, dass dies in die richterliche Unabhängigkeit eingreife, wäre zumindest inkonsequent gedacht, denn der GWB-RefE unternimmt – wie mehrfach angemerkt – einiges, um die Vergabekammern materiell noch mehr als ohnehin schon (!) einem Gericht im Sinne des nationalen Rechts gleichzustellen.
Man muss es so deutlich sagen: der GWB-RefE gleicht die Vergabekammern noch stärker den Gerichten an. Gleichzeitig will er aber – ob bewusst oder unbewusst – einen Unterschied zwischen den Vergabekammern und den Oberlandesgerichten in einem für den Rechtsschutz wichtigen Aspekt aufrechterhalten. Das ist widersprüchlich und inkonsequent.
Die in Art. 1 Nr. 39 a) und b) GWB-RefE vorgesehenen Änderungen verlaufen parallel zu Art. 1 Nr. 37 GWB-RefE, betreffen aber die Möglichkeit der Vorabgestattung der Zuschlagserteilung durch das Beschwerdegericht nach § 176 GWB.
Für die Anordnung der Sofortvergabe soll es nicht mehr notwendig sein, dass die Vorteile der Sofortvergabe überwiegen. Vielmehr wird das Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 176 GWB umgekehrt: Nur wenn die vorteilhaften Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die Beschwerde die damit verbundenen Nachteile überwiegen, soll die Sofortvergabe nicht stattfinden. Damit wird die Sofortvergabe bei einem Antrag des Auftraggebers oder designierten Auftragnehmers von der Ausnahme zur Regel.
An Art. 1 Nr. 39 GWB-RefE anknüpfend sieht Art. 1 Nr. 40 GWB-RefE vor, § 177 GWB aufzuheben. Begründet wird dies damit, dass die durch eine automatische Beendigung des Vergabeverfahrens im Falle einer den Antrag nach § 176 GWB ablehnenden Entscheidung zu einer nicht hinnehmbaren Verzögerung des Vergabeverfahrens führe (S. 94). Denn dieses muss bei einer Beendigung von Anfang an wiederholt werden.
Damit fällt ein Grund weg, den Antrag nach § 176 Abs. 1 S. 1 GWB nicht zu stellen. Denn mit § 177 GWB fällt auch das Risiko, das Vergabeverfahren im Falle eines Unterliegens von Neuem zu beginnen, weg.
Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union
In der Begründung unter A. V. geht der GWB-RefE auf einzelne EU-Richtlinien ein, mit denen das Gesetzgebungsvorhaben aus Sicht des BMWK insbesondere vereinbar sein soll.
Erwähnt wird dabei nur im – hier nicht interessierenden – Zusammenhang der Änderung des § 135 GWB die
Richtlinie 89/665/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge vom 21. Dezember 1989 in der Fassung der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe vom 26. Februar 2014.
Diese Richtlinie wird im Folgenden „Rechtsmittelrichtlinie“ genannt. Auf diese wird noch näher einzugehen sein.
Zu prüfen ist ferner, inwieweit die Einschränkungen der Wirkungen der sofortigen Beschwerde mit dem – im Referentenentwurf nicht ausdrücklich erwähnten – Art. 47 Abs. 1 und 2 iVm Art. 51 Abs. 1 S. 1 der Grundrechtecharta der Europäischen Union (EU GrCh) vereinbar ist.
Die Vorgaben der Rechtsmittelrichtlinie
Die Änderungen des GWB sind in Übereinstimmung mit der Rechtsmittelrichtlinie auszulegen. Ist dies mit dem noch möglichen Wortsinn des GWB-RefE nicht möglich, dann muss das GWB-RefE wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts unangewendet bleiben.
Art. 2 Abs. 1 der Rechtsmittelrichtlinie stellt spezifische Anforderungen an das Nachprüfungsverfahren.
Nach Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Rechtsmittelrichtlinie müssen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union das Nachprüfungsverfahren so ausgestalten, dass im Wege einer einstweiligen Verfügung vorläufige Maßnahmen ergriffen werden können, um Schädigungen des betroffenen Interesses zu verhindern. Diese Vorgaben richtet sich aber nur an das Verfahren vor den Vergabekammern. Der GWB-RefE lässt aber die vorläufigen Maßnahmen nach § 169 GWB unberührt – die Änderungen betreffen nur organisatorische Fragen.
Die in Art. 2 Abs. 1 lit. b) der Rechtsmittelrichtlinie vorgesehene Möglichkeit der Aufhebung einer rechtswidrigen (Vergabe-)Entscheidung wird ebenfalls nicht beschnitten. Denn der GWB-RefE will nur die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung nach § 173 GWB zum Ausnahmefall machen. (Vergabe-)Entscheidungen der Auftraggeber sind weiterhin vor den Vergabekammern angreifbar. Insoweit ändert der GWB-RefE nichts. Wie bereits ausgeführt, sind die Vergabekammern als Gerichte im Sinne des Unionsrechts anzusehen. Deshalb genügt der GWB-RefE den Vorgaben des Unionsrechts, für effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu sorgen.
Die Vorgaben der Grundrechtecharta
In Art. 47 Abs. 1 EU GrCh heißt es:
Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.
Absatz 1 legt somit den Schwerpunkt auf die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs.
Zu durch das Recht der Union garantierten Freiheiten gehören nach der Rechtsprechung des EuGH auch Rechte, die vom nationalen Recht in Durchführung von Unionsrecht gewährt werden (Urteil vom 16. Mai 2017, C682/15, Rn. 50). Somit gehören zu verletzten Rechten im Sinne von Art. 47 Abs. 1 EU GrCh auch das Recht auf Einhaltung der Vergabevorschriften (§ 97 Abs. 6 GWB).
Doch auch nach dem GWB-RefE ist der vergaberechtliche Rechtsschutz noch wirksam im Sinne des Art. 47 Abs. 1 Eu Grch ist. Zwar dürfen nach der Rechtsprechung des EuGH dürfen die innerstaatlichen Rechtsbehelfe nicht Bedingungen unterliegen, die die Ausübung der als verletzt gerügten Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Urteil vom 6. Oktober 2015, C‑71/14, Rn. 55).
Doch das ist nach dem GWB-RefE nicht der Fall. Denn die Wirksamkeit des Nachprüfungsantrags als Rechtsbehelf wird nicht berührt. Die Voraussetzungen, unter denen nach § 169 GWB der Nachprüfungsantrag keine zuschlagsverhindernde Wirkung hat, sollen nach dem GWB-RefE nicht verändert werden.
Fazit
Das geplante Vergaberechtstransformationsgesetz enthält tiefgreifende Veränderungen im Vergaberecht, insbesondere im Nachprüfungsverfahren.
Die stärkere Digitalisierung ist mit Blick auf vorangegangene Bemühungen im Prozessrecht nicht innovativ und zu begrüßen. Spannender ist die Frage, ob der GWB-RefE den Vorgaben des Unionsrechts zum Rechtsschutz genügt. Nach der hier vertretenen Auffassung ist das der Fall.