Das Best­bie­ter­prin­zip nach dem Thü­rin­ger Ver­ga­be­ge­setz 2019*

Am 1. Dezem­ber 2019 wird das neue Thü­rin­ger Ver­ga­be­ge­setz in Kraft tre­ten. Viel gelobt im Vor­feld: das sog. Best­bie­ter­prin­zip in § 12a des Geset­zes. Dabei steckt der Teu­fel im Detail. Unter dem Eti­kett des Büro­kra­tie­ab­baus – und ein­drucks­vol­len Berech­nun­gen der „Ein­spa­run­gen je Ver­ga­be­vor­gang“ – beschenkt der thü­rin­gi­sche Gesetz­ge­ber Ver­ga­be­stel­len, Bie­ter und Bewer­ber mit dem sog. Best­bie­ter­prin­zip. Die Rege­lung in § 12a ThürVgG hat die fol­gen­den Inhal­te:
  • Nach Absatz 1 müs­sen Erklä­rung und Nach­wei­se nach dem ThürVgG künf­tig nur noch vom Best­bie­ter vor­ge­legt wer­den. Die­se Vor­ga­be rich­tet sich ver­pflich­tend an die Ver­ga­be­stel­le. Sie darf die Abga­be die­ser Erklä­run­gen und Nach­wei­se bereits mit dem Ange­bot nicht län­ger ver­lan­gen.
  • Nach Absatz 2 muss der Auf­trag­ge­ber hier­auf in der Bekannt­ma­chung oder den Unter­la­gen hin­wei­sen. Er muss zugleich eine Frist fest­le­gen, inner­halb derer der Best­bie­ter auf eine Auf­for­de­rung hin die betref­fen­den Unter­la­gen nach­rei­chen muss. Die­se Frist muss zwi­schen 3 und 5 Werk­ta­gen betra­gen.
  • Nach Absatz 3 beginnt die Frist am Tag nach der Absen­dung der Auf­for­de­rung. Nicht: am Tag des Zugangs der Auf­for­de­rung! Die Frist kann „im Aus­nah­me­fall“ ver­län­gert wer­den.
  • Absatz 4 sieht vor, dass – wenn kei­ne frist­ge­rech­te Vor­la­ge erfolgt – das Ange­bot zwin­gend aus­zu­schlie­ßen ist. Dann muss das nächs­te Ange­bot in der Wer­tungs­rei­hen­fol­ge her­an­ge­zo­gen wer­den.
  • Nach Absatz 5 darf der Auf­trag­ge­ber bei „nicht von dem Auf­trag­ge­ber zu ver­tre­ten­der, objek­ti­ver Dring­lich­keit“ vom Best­bie­ter­prin­zip abwei­chen.
Fra­gen über Fra­gen. Im Fol­gen­den eine klei­ne Aus­wahl . Zudem ein prak­ti­scher Fall, der deut­lich macht, dass es Streit geben wird. Und schließ­lich ein Fazit, das nur wenig gnä­dig mit dem thü­rin­gi­schen Gesetz­ge­ber sein kann. Bezieht sich § 12a ThürVgG auch auf Erklä­run­gen und Nach­wei­se nach VOB/A und/oder UVgO, die nur kraft Ver­wei­sung in § 1 Abs. 2 ThürVgG gel­ten, also letzt­lich auch „in die­sem Gesetz“, also im ThürVgG, gere­gelt sind? Oder sind tat­säch­lich nur Erklä­run­gen und Nach­wei­se nach §§ 10, 11, 12 und 17 ThürVgG gemeint? Wie ver­hält sich die Rege­lung zu § 41 Abs. 2 UVgO? Muss zunächst eine Wer­tungs­rei­hen­fol­ge ermit­telt wer­den – auch unter Ein­be­zie­hung bereits auf den ers­ten Blick abge­schla­ge­ner Ange­bo­te -, bevor die Auf­for­de­rung nach § 12a ThürVgG ver­sandt wer­den darf? Ist es erkannt wor­den – und liegt es wirk­lich im Inter­es­se der Bie­ter -, dass sich die Ver­ga­be­ver­fah­ren aller Vor­aus­sicht nach ver­län­gern wer­den, wenn sich an jede Wer­tung eine Frist von 3 bis 5 Tagen sowie eine mög­li­cher­wei­se sogar nega­tiv aus­fal­len­de Prü­fung anschließt? Ist es tat­säch­lich im Inter­es­se der Bie­ter, wäh­rend des lau­fen­den Wer­tungs­vor­gangs eine Frist gesetzt zu erhal­ten, die nach 3, 4 oder 5 Werk­ta­gen been­det ist? Bei deren ergeb­nis­lo­sen Ver­strei­chen unwei­ger­lich der Ange­bots­aus­schluss erfolgt? Ein Fall zur Ver­deut­li­chung einer nahe­lie­gen­den Pro­blem­la­ge: A, B und C geben jeweils ein Ange­bot ab. A liegt auf Platz 1 der Wer­tungs­rei­hen­fol­ge, was rasch fest­ge­stellt wer­den kann, da in unse­rem Bei­spiels­fall – wie so oft – der Preis das ein­zi­ge Zuschlags­kri­te­ri­um ist. Aller­dings hat der Auf­trag­ge­ber eine recht auf­wän­di­ge Bemus­te­rung vor­ge­schrie­ben. Muss die Ver­ga­be­stel­le die­se nun nicht nur beim vor­aus­sicht­li­chen Best­bie­ter A, son­dern auch bei B und C durch­füh­ren? Ober­halb der EU-Schwel­len­wer­te gibt es zahl­rei­che Ent­schei­dun­gen der Ver­ga­benach­prü­fungs­in­stan­zen, die zumin­dest in kla­ren Fäl­len klei­ne Abkür­zun­gen erlau­ben. Die Ver­ga­be­stel­le muss also u.U. nicht jedes Ange­bot voll­um­fäng­lich wer­ten. Der thü­rin­gi­sche Gesetz­ge­ber ist da stren­ger. Er gibt zwin­gend vor, die Auf­for­de­rung zur Ein­rei­chung der Erklä­run­gen nach §§ 10, 11, 12 und 17 ThürVgG erst dann zu ver­sen­den, wenn alle Ange­bo­te voll­stän­dig gewer­tet wur­den. D.h., wenn alle Ange­bo­te bemus­tert wur­den. Aber ist das so gewollt? Und was, wenn A die 3‑Ta­ges-Frist (was ist eigent­lich ein „Werk­tag“?) nicht beach­tet? Die Ver­ga­be­stel­le schließt ihn aus – und führt dann die Bemus­te­rung der übri­gen Ange­bo­te durch, die mög­li­cher­wei­se 1 bis 2 Wochen in Anspruch nimmt. Wird nicht A sei­nen Aus­schluss rügen mit dem Argu­ment, es sei ihm zu früh eine Frist zur Ein­rei­chung der Erklä­run­gen gesetzt wor­den, schließ­lich habe der Auf­trag­ge­ber noch kei­ne Wer­tungs­rei­hen­fol­ge, wie § 12a Abs. 4 ThürVgG es ver­langt, erstellt. Fra­gen über Fra­gen. Wie so oft kann der Rechts­an­wen­der nur auf das Voll­zugs­de­fi­zit im Ver­ga­be­recht und die Fried­fer­tig­keit der Bie­ter hof­fen. Für den thü­rin­gi­schen Gesetz­ge­ber gilt jedoch: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. *Die­ser Rechts­tipp ersetzt kei­nen anwalt­li­chen Rat im Ein­zel­fall. Er ist natur­ge­mäß unvoll­stän­dig, auch ist er nicht auf Ihren Fall bezo­gen und stellt zudem eine Moment­auf­nah­me dar, da sich gesetz­li­che Grund­la­gen und Recht­spre­chung im Lauf der Zeit ändern. Er kann und will nicht alle denk­ba­ren Kon­stel­la­tio­nen abde­cken, dient Unter­hal­tungs- und Erst­ori­en­tie­rungs­zwe­cken und soll Sie zur früh­zei­ti­gen Abklä­rung von Rechts­fra­gen moti­vie­ren, nicht aber davon abhal­ten.

Weitere Beiträge

Suche

Spezialkanzlei für Vergaberecht

Europaweite Expertise im Vergaberecht - Ihr kompetenter Partner in allen Phasen des Vergabeprozesses.

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner