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Trans­pa­renz im Ver­ga­be­recht: BayVGH stärkt Ein­sichts­rech­te von Bie­tern in Bewer­tungs­un­ter­la­gen

Anspruch eines Unter­neh­mens auf Ein­sicht in die Wer­tungs­be­grün­dung sei­nes erfolg­los geblie­be­nen Ange­bots nach Abschluss eines Ver­ga­be­ver­fah­rens

VGH Mün­chen (5. Senat), Urteil vom 21.06.2024 – 5 BV 22.1295 (Beck­RS 2024, 18878, beck-online)

Leit­sät­ze

  1. Der Schutz der Ver­trau­lich­keit der Doku­men­ta­ti­on über die Wer­tung von Teil­nah­me­an­trä­gen und Ange­bo­ten gem. § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV besteht nicht gegen­über dem Unter­neh­men, das das betref­fen­de Ange­bot abge­ge­ben hat, soweit die Doku­men­ta­ti­on kei­ne Rück­schlüs­se auf die Inhal­te der Ange­bo­te Drit­ter zulässt.
  2. Die Ver­pflich­tung zur Wah­rung der Ver­trau­lich­keit von „Inter­es­sens­be­kun­dun­gen, Inter­es­sens­be­stä­ti­gun­gen, Teil­nah­me­an­trä­gen und Ange­bo­ten ein­schließ­lich ihrer Anla­gen sowie die Doku­men­ta­ti­on über Öff­nung und Wer­tung der Teil­nah­me­an­trä­ge und Ange­bo­te“ besteht nur zu Guns­ten und nicht zu Las­ten des jewei­li­gen Ein­rei­chers.

Sach­ver­halt

Die Kl. begehrt Ein­sicht­nah­me in die Bewer­tung der von ihr abge­ge­be­nen Ange­bo­te in einem von der Bekl. durch­ge­führ­ten Ver­ga­be­ver­fah­ren (offe­nes Ver­fah­ren). Bei der Bewer­tung der Ange­bo­te setz­te die Bekl. eine Bewer­tungs­ma­trix mit gewich­te­ten Wer­tungs­be­rei­chen ein, aus denen sich Leis­tungs­punk­te errech­ne­ten. In jedem Wer­tungs­be­reich waren Wer­tungs­stu­fen von 0 bis 3 zu ver­ge­ben. Ein Ange­bot wur­de nur dann berück­sich­tigt, wenn es eine gewis­se Leis­tungs­punkt­zahl erreicht hat­te. Die Kl. betei­lig­te sich an die­sem Ver­fah­ren zu zwei Losen der Aus­schrei­bung und reich­te hier­zu Ange­bo­te ein. Mit inhalts­glei­chem Schrei­ben teil­te die Bekl. der Kl. in der Fol­ge jeweils gem. § 134 GWB mit, dass ihre Ange­bo­te jeweils nicht für einen Zuschlag in Fra­ge kämen. In der Begrün­dung wur­de jeweils ange­ge­ben, das Ange­bot erfül­le nicht die in den Ver­ga­be­un­ter­la­gen gefor­der­ten Min­dest­an­for­de­run­gen. Die Kl. stell­te dar­auf­hin einen Antrag auf Zugang zu amt­li­chen Infor­ma­tio­nen gem. § 7 Abs. 1 IFG iVm § 1 Abs. 1 IFG, der die Doku­men­ta­ti­on der Bewer­tung der Ange­bo­te der Kl. zu den bei­den Losen zum Gegen­stand hat­te. Die Bekl. teil­te der Kl. unter Hin­weis auf das nun abge­schlos­se­ne Ver­ga­be­ver­fah­ren die Ein­zel­be­wer­tun­gen in den Wer­tungs­be­rei­chen in Form eines Bescheids mit. In Bezug auf die Bekannt­ga­be der Wer­tungs­be­grün­dun­gen lehn­te die Bekl. den Antrag ab. Das VG wies die dage­gen erho­be­ne Kla­ge ab (vgl. VG Ans­bach, Urteil vom 05.04.2022 – AN 14 K 20.1132). Der BayVGH änder­te nun die vor­ge­hen­de Ent­schei­dung des VG ab und ver­pflich­te­te die Beklag­te, der Klä­ge­rin Ein­sicht in die Wer­tungs­be­grün­dung ihrer Kon­zep­te zu gewäh­ren, die die Klä­ge­rin zu ein­zel­nen Losen des Ver­ga­be­ver­fah­rens ein­ge­reicht hat.

Recht­li­che Wür­di­gung

Die Klä­ge­rin hat nach Abschluss des Ver­ga­be­ver­fah­rens einen Anspruch auf Ein­sicht in die Wer­tungs­be­grün­dung ihres eige­nen Ange­bots nach § 7 Abs. 1 IFG iVm § 1 Abs. 1 IFG.

Ent­ge­gen der Ansicht des VG stellt § 3 Nr. 4 IFG i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV im vor­lie­gen­den Fall gera­de kei­nen Aus­schluss­grund für das Infor­ma­ti­ons­be­geh­ren der Klä­ge­rin dar. § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV stellt zwar eine Ver­trau­lich­keits­re­ge­lung im Sinn des § 3 Nr. 4 IFG dar. Die Ver­pflich­tung zur Wah­rung der Ver­trau­lich­keit von „Inter­es­sens­be­kun­dun­gen, Inter­es­sens­be­stä­ti­gun­gen, Teil­nah­me­an­trä­gen und Ange­bo­ten ein­schließ­lich ihrer Anla­gen sowie die Doku­men­ta­ti­on über Öff­nung und Wer­tung der Teil­nah­me­an­trä­ge und Ange­bo­te“ besteht aber nur zu Guns­ten und nicht zu Las­ten des jewei­li­gen Ein­rei­chers.

Ent­ge­gen der Ansicht des Ver­wal­tungs­ge­richts die­ne § 5 II 2 VgV nicht dem Schutz des öffent­li­chen Auf­trag­ge­bers. § 5 VgV sol­le in ers­ter Linie einen unver­fälsch­ten Wett­be­werb sicher­stel­len. Um die­ses Ziel zu errei­chen, dür­fen die öffent­li­chen Auf­trag­ge­ber kei­ne das Ver­ga­be­ver­fah­ren betref­fen­den Infor­ma­tio­nen preis­ge­ben, deren Inhalt dazu ver­wen­det wer­den könn­te, den Wett­be­werb ent­we­der in einem lau­fen­den Ver­ga­be­ver­fah­ren oder in spä­te­ren Ver­ga­be­ver­fah­ren zu ver­fäl­schen. Da die Ver­ga­be­ver­fah­ren auf einem Ver­trau­ens­ver­hält­nis zwi­schen den öffent­li­chen Auf­trag­ge­bern und den Wirt­schafts­teil­neh­mern beru­hen, müs­sen die Wirt­schafts­teil­neh­mer den öffent­li­chen Auf­trag­ge­bern alle im Rah­men des Ver­ga­be­ver­fah­rens zweck­dien­li­chen Infor­ma­tio­nen mit­tei­len kön­nen, ohne befürch­ten zu müs­sen, dass die öffent­li­chen Auf­trag­ge­ber Infor­ma­tio­nen, deren Preis­ga­be den Wirt­schafts­teil­neh­mern scha­den könn­te, an Drit­te wei­ter­ge­ben. Die Gefahr der Ver­fäl­schung des Wett­be­werbs wird also (nur) bei einer Preis­ga­be von mit­ge­teil­ten Infor­ma­tio­nen an Drit­te gese­hen. In § 5 II 2 VgV woll­te der Ver­ord­nungs­ge­ber die­sen (inhalt­lich unver­än­der­ten) Ver­trau­lich­keits­schutz zeit­lich auf den Zeit­raum nach Abschluss der Ver­ga­be­ver­fah­rens aus­deh­nen.

Für die­sen aus­schließ­li­chen Schutz­zweck – und somit gegen eine abs­trakt-gene­rel­le wett­be­werbs­schüt­zen­de Inten­ti­on des § 5 II 2 VgV – spricht wei­ter­hin, dass die Mög­lich­keit der Ein­sicht­nah­me in die Bewer­tungs­de­tails sei­nes Ange­bots jedem Wett­be­wer­ber glei­cher­ma­ßen zusteht, sodass kein Teil­neh­mer im Wett­be­werb bevor­zugt wird und mit­hin auch kei­ne Wett­be­werbs­ver­fäl­schung her­bei­führt.  Zuletzt ist in der Recht­spre­chung zum Akten­ein­sichts­recht nach § 165 GWB geklärt, dass das Recht auf Akten­ein­sicht im Rah­men eines Nach­prü­fungs­ver­fah­rens grund­sätz­lich die gesam­te Doku­men­ta­ti­on des Ver­ga­be­ver­fah­rens umfasst. Dazu zäh­len ins­be­son­de­re die Unter­la­gen, die die Prü­fung und Wer­tung der Ange­bo­te umfas­sen. Sowohl das Trans­pa­renz­ge­bot als auch das Recht auf Kennt­nis der eige­nen Daten sprä­chen hier für eine Offen­le­gung. Es sei nicht ersicht­lich, wie­so Unter­la­gen im Nach­prü­fungs­ver­fah­ren nicht schutz­be­dürf­tig sein sol­len, nach Abschluss des Ver­ga­be­ver­fah­rens indes schon.

Der Schutz der Ver­trau­lich­keit der Doku­men­ta­ti­on über die Wer­tung von Teil­nah­me­an­trä­gen und Ange­bo­ten gem. § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV besteht mit­hin nicht gegen­über dem Unter­neh­men, das das betref­fen­de Ange­bot abge­ge­ben hat, soweit die Doku­men­ta­ti­on kei­ne Rück­schlüs­se auf die Inhal­te der Ange­bo­te Drit­ter zulässt.

Fazit

Nach Abschluss eines Ver­ga­be­ver­fah­rens kön­nen die Wer­tungs­be­grün­dun­gen für das eige­ne Ange­bot ein­ge­se­hen wer­den. Durch die Kennt­nis der Wer­tungs­de­tails kann der Ein­sicht neh­men­de Bie­ter sein Ange­bot künf­tig pass­ge­nau­er auf die Bedar­fe des Auf­trag­ge­bers anpas­sen. Die Qua­li­tät des Ange­bots kann dadurch eine ziel­ge­rich­te­te Ver­bes­se­rung erfah­ren, die andern­falls davon abhin­ge, ob der Teil­neh­mer sei­ne Defi­zi­te mehr oder weni­ger zufäl­lig „errät“.

Auch kann die Ein­sicht­nah­me genutzt wer­den, um Scha­dens­er­satz­an­sprü­che vor­zu­be­rei­ten. So erfährt der unter­le­ge­ne Bie­ter anhand der Wer­tungs­un­ter­la­gen, die sein Ange­bot betref­fen, wel­chen Platz er inner­halb der Wer­tungs­rei­hen­fol­ge belegt hat. Wur­de er auf­grund einer angeb­lich nicht erfüll­ten Min­dest­an­for­de­rung aus­ge­schlos­sen, sei es auf Eig­nungs- oder auf Leis­tungs­ebe­ne, belegt sein Ange­bot aber im Übri­gen den ers­ten Platz, so kom­men Ansprü­che auf Ersatz des posi­ti­ven Inter­es­ses in Betracht, und zwar auf Ersatz des ent­gan­ge­nen Gewinns und des ent­gan­ge­nen Bei­trags zur Deckung der Fix­kos­ten. Sol­che Ansprü­che durch­zu­set­zen, fällt bei feh­len­der Akten­ein­sicht, die in einem zivil­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren bekannt­lich allen­falls dann zu erlan­gen ist, wenn die Gegen­sei­te ihrer­seits Bezug nimmt Akten­be­stand­tei­le, äußerst schwer. Daher ist die­se Aner­ken­nung von Infor­ma­ti­ons­an­sprü­chen des unter­le­ge­nen Bie­ters, soweit er sich auf die Bewer­tung sei­nes Ange­bots bezieht, von gro­ßem wirt­schaft­li­chen Wert.

Gegen das Urteil des BayVGH wur­de die Revi­si­on zuge­las­sen, da es sich um eine Fra­ge von grund­le­gen­der Bedeu­tung han­delt und über sie noch nicht ent­schie­den wur­de. Es lohnt sich also, die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen im Blick zu behal­ten.

Hin­weis: Die­ser Rechts­tipp ersetzt kei­nen anwalt­li­chen Rat im Ein­zel­fall. Er ist natur­ge­mäß unvoll­stän­dig, auch ist er nicht auf Ihren Fall bezo­gen und stellt zudem eine Moment­auf­nah­me dar, da sich gesetz­li­che Grund­la­gen und Recht­spre­chung im Lauf der Zeit ändern. Er kann und will nicht alle denk­ba­ren Kon­stel­la­tio­nen abde­cken, dient Unter­hal­tungs- und Erst­ori­en­tie­rungs­zwe­cken und soll Sie zur früh­zei­ti­gen Abklä­rung von Rechts­fra­gen moti­vie­ren, nicht aber davon abhal­ten. aban­te Rechts­an­wäl­te war nicht am Ver­fah­ren betei­ligt und hat kei­ne Par­tei im Streit­ver­fah­ren ver­tre­ten.

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