Ange­bots­aus­schluss bei Nicht­er­klä­rung einer Bin­de­frist­ver­län­ge­rung?*

Wer einer vom Auf­trag­ge­ber ange­reg­ten Bin­de­frist­ver­län­ge­rung nicht zustimmt, erklärt damit nicht, dass er kein Inter­es­se (mehr) am Auf­trag hat. Einem hier­auf gegrün­de­ten Ange­bots­aus­schluss fehlt es an einer Rechts­grund­la­ge.

Was ist pas­siert?

Aus­ge­schrie­ben wur­de die Lie­fe­rung von Mate­ria­li­en und Logis­tik für den Breit­band­aus­bau. Ange­bots­bin­de­frist war der 30. Juli 2019. Der Antrags­geg­ner erbat eine Ver­län­ge­rung der Bin­de­frist bis 22. Sep­tem­ber 2019. Die Antrag­stel­le­rin erklär­te kei­ne Bin­de­frist­ver­län­ge­rung. Der Antrags­geg­ner schloss das Ange­bot der Antrag­stel­le­rin aus und begrün­de­te dies mit der nicht über­sand­ten Bestä­ti­gung der Ver­län­ge­rung der Bin­de­frist. Der Rüge der Antrag­stel­le­rin wur­de nicht abge­hol­fen. Der Nach­prü­fungs­an­trag wur­de von der Ver­ga­be­kam­mer unter Beru­fung auf § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV zurück­ge­wie­sen. Das Ange­bot der Antrag­stel­le­rin sei gemäß §§ 146, 148 BGB ohne die Bin­de­frist­ver­län­ge­rung erlo­schen. Hier­ge­gen rich­tet sich die sofor­ti­ge Beschwer­de.

Die Ent­schei­dung

Der Rechts­be­helf hat Erfolg. Der Ange­bots­aus­schluss war man­gels Rechts­grund­la­ge rechts­wid­rig. Das Erlö­schen eines Ange­bots unter zivil­recht­li­chen Aspek­ten führt nicht dazu, dass das Ange­bot auch ver­ga­be­recht­lich hin­fäl­lig ist. Es kann ggf. aus haus­halts­recht­li­chen Grün­den sogar gebo­ten sein, das Ange­bot der Antrag­stel­le­rin zu berück­sich­ti­gen. Zu Unrecht hat die VK den Aus­schluss auf § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV gestützt. Nach die­ser Norm, die dem Antrags­geg­ner kein Ermes­sen ein­räumt, sind Ange­bo­te aus­zu­schlie­ßen, die nicht die gefor­der­ten oder zuläs­si­ger­wei­se gemäß § 56 VgV nach­ge­for­der­ten Unter­la­gen ent­hal­ten. Bei Erklä­run­gen zur Bin­de­frist­ver­län­ge­rung han­delt sich schon tat­be­stand­lich nicht um Unter­la­gen gemäß § 57 Abs. 1, § 48 Abs. 1 VgV. Der Unter­la­gen­be­griff ist auf unter­neh­mens- oder leis­tungs­be­zo­ge­ne Unter­la­gen beschränkt. Eine Bin­de­frist­ver­län­ge­rung ist kei­ner der bei­den Grup­pen zu zuord­nen. Eine ana­lo­ge Anwen­dung der Aus­schluss­tat­be­stän­de schei­det aus. Die­se sind abschlie­ßend und dür­fen nicht erwei­ternd aus­ge­legt wer­den. Eine nach Ablauf der Bin­de­frist vom Antrags­geg­ner getrof­fe­ne Zuschlags­ent­schei­dung stellt ein neu­es Ange­bot dar, wel­ches bei ent­spre­chen­der For­mu­lie­rung zu den Kon­di­tio­nen des ursprüng­li­chen Ange­bo­tes ange­nom­men wer­den kann.

Pra­xis­tipp

In einem Bau­ver­ga­be-Fall wäre die Ent­schei­dung kaum der Rede wert. Die VOB/A regelt den Fall des ver­spä­te­ten Ange­bots aus­drück­lich; ein Aus­schluss, wenn der Bie­ter schlicht die Bin­dung nicht ver­län­gert, kommt meis­tens nicht in Betracht. Anders sieht es bei VgV-Fäl­len aus. Hier besteht längst kei­ne so kla­re Tren­nung zwi­schen ver­trags- und ver­ga­be­recht­li­cher Betrach­tung. Bie­ter soll­ten sich jedoch nicht blind auf die­se Recht­spre­chung ver­las­sen. Sie müs­sen ins­be­son­de­re die Ver­ga­be­un­ter­la­gen sorg­fäl­tig prü­fen, ob dar­in ein Aus­schluss ver­fris­te­ter Ange­bo­te vor­ge­se­hen ist. Vor Erklä­rung einer Bin­de­frist­ver­län­ge­rung ist stets zu prü­fen, wie „groß“ das Inter­es­se an einem Zuschlag (noch) ist, ins­be­son­de­re ob der Bie­ter auch zum aktu­el­len Zeit­punkt ein Ange­bot zu unver­än­der­ten Kon­di­tio­nen abge­ben wür­de. Mit Abga­be der Bin­de­frist­ver­län­ge­rung ist der Bie­ter bis zum Ablauf der Frist an sein Ange­bot gebun­den. Außer­dem Vor­sicht: Eine Abän­de­rung der vom Auf­trag­ge­ber vor­ge­ge­be­nen neu­en Bin­de­frist – gleich­gül­tig, ob ver­kür­zend oder ver­län­gernd – kann als Ände­rung der Ver­ga­be­un­ter­la­gen zum Aus­schluss des Ange­bo­tes füh­ren. Ver­ga­be 24 *Die­ser Rechts­tipp ersetzt kei­nen anwalt­li­chen Rat im Ein­zel­fall. Er ist natur­ge­mäß unvoll­stän­dig, auch ist er nicht auf Ihren Fall bezo­gen und stellt zudem eine Moment­auf­nah­me dar, da sich gesetz­li­che Grund­la­gen und Recht­spre­chung im Lauf der Zeit ändern. Er kann und will nicht alle denk­ba­ren Kon­stel­la­tio­nen abde­cken, dient Unter­hal­tungs- und Erst­ori­en­tie­rungs­zwe­cken und soll Sie zur früh­zei­ti­gen Abklä­rung von Rechts­fra­gen moti­vie­ren, nicht aber davon abhal­ten.

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