Der Beschluss des OLG Karlsruhe vom 31. Juli 2025 (Az.: 15 Verg 9/25) befasst sich mit zentralen Fallstricken bei Rahmenvereinbarungen und dem Ausschluss wegen unzulässiger Angebotsänderung. Die Entscheidung liefert wichtige Klarstellungen zur Auslegung von Lieferbedingungen („frei Verwendungsstelle“) sowie zu den Anforderungen an die Angabe von Mindest- und Höchstmengen.
Unser Video zur Urteilsbesprechung:
Sachverhalt: Die Tücken der Lieferbedingungen bei Massenwaren
Eine Kommune schrieb die Lieferung von Reinigungs- und Hygieneartikeln europaweit als Rahmenvereinbarung über zwei Jahre aus. Die Leistungsbeschreibung forderte zwingend die Bedingung „frei Verwendungsstelle“, was die Zustellung „an den jeweiligen Arbeitsplatz bzw. an den von der Bedarfsstelle vorgegebenen Lagerplatz“ umfasste.
Ein Bieter legte ein Logistikkonzept vor und erläuterte später auf Nachfrage, dass die Lieferung zwar kostenfrei erfolge, aber grundsätzlich „hinter die erste Tür“ geliefert werde. Eine Zustellung „frei Verwendungsstelle“ sei nur über einen optionalen Zusatzservice möglich.
Der Auftraggeber schloss das Angebot des Bieters aus, da er in der Lieferung „hinter die erste Tür“ eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen ($\S$ 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV) sah. Der Bieter rügte den Ausschluss und beanstandete zudem, dass die Rahmenvereinbarung keine Mindestabnahmemengen enthalte und die Höchstmengen-Angabe intransparent sei.
Kernpunkt der Entscheidung: Auslegung und Rahmenvereinbarungen
Das OLG Karlsruhe wies die sofortige Beschwerde des Bieters in allen zentralen Punkten zurück.
1. Ausschluss wegen Abweichung: „Hinter die erste Tür“ ist nicht „frei Verwendungsstelle“
Ein Angebot, das von den zwingenden Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht, muss zur Sicherung eines fairen Wettbewerbs zwingend ausgeschlossen werden.
Auslegung des Angebots: Die Auslegung erfolgt nach Treu und Glauben aus Sicht eines objektiven Dritten in der Lage der Vergabestelle.
Abweichung ist Ausschlussgrund: Die Erklärung, „grundsätzlich hinter die erste Tür“ zu liefern, entsprach nicht der zwingend geforderten Lieferung „frei Verwendungsstelle“.
Grenzen der Aufklärung: Die Aufklärung dient der Klarstellung, nicht der nachträglichen Änderung des Angebots. Die Erläuterungen des Bieters führten gerade zu dem Ergebnis, dass das Angebot nicht konform war, weshalb der Ausschluss rechtmäßig erfolgte.
2. Anforderungen an Mengen in Rahmenvereinbarungen
Das OLG beurteilte die Rügen zu den Mengen als materiell unbegründet.
Höchstmenge ist ausreichend: Im Falle einer Rahmenvereinbarung muss der Auftraggeber in der Bekanntmachung und/oder den Vergabeunterlagen sowohl die Schätzmenge als auch eine Höchstmenge angeben. Die Angabe der Schätzmenge als Höchstmenge ist vergaberechtskonform.
Relativierung ist zulässig: Der Vorbehalt, einzelne Positionen zu erhöhen oder zu reduzieren, relativiert die Höchstmenge nicht unzulässig, solange dies nur kleine Mengenverschiebungen betrifft und keine wesentliche Änderung des Gesamtvertrags darstellt.
Keine Mindestabnahmemenge erforderlich: Bei Massenwaren (hier: Reinigungs- und Hygieneartikel), die jederzeit in beliebiger Menge beschafft und anderweitig abgesetzt werden können, besteht keine Verpflichtung zur Angabe einer Mindestabnahmemenge.
Tipps für öffentliche Auftraggeber: Eindeutigkeit schaffen
Gerade bei komplexen Logistikanforderungen muss die öffentliche Hand Eindeutigkeit schaffen und strenge Maßstäbe an die Auslegung von Angeboten legen.
Zwingende Anforderungen klar definieren: Must-have-Anforderungen wie „frei Verwendungsstelle“ müssen in der Leistungsbeschreibung detailliert erläutert werden. Die Forderung muss präzise auf den tatsächlichen Bedarf (z.B. Lieferung in das einzelne Büro) zugeschnitten sein.
Auslegung vermeiden: Die Vergabestelle darf Angebote nur nach der Sicht eines objektiven Empfängers auslegen. Abweichende Formulierungen im Angebot müssen konsequent zum Ausschluss führen, um den fairen Wettbewerb zu sichern.
Mengenangaben bei Rahmenvereinbarungen: Geben Sie stets eine Höchstmenge der abrufbaren Leistung an, da die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung verliert, wenn diese erreicht ist. Bei Massenwaren ist es zulässig, die Schätzmenge als Höchstmenge festzulegen.
Flexibilität ohne Mindestmenge: Bei Massenwaren müssen Sie keine Mindestabnahmemenge garantieren. Kleinere Vorbehalte zur Verschiebung von Mengenpositionen sind zulässig, solange sie den Gesamtumfang nicht wesentlich ändern.
Tipps für Bieter und Bewerber: Sorgfalt in der Angebotsabgabe
Für Bieter gilt der Grundsatz der höchsten Sorgfalt. Jede Abweichung von den zwingenden Vorgaben der Leistungsbeschreibung kann den Ausschluss bedeuten.
Absolute Konformität bei Muss-Anforderungen: Stellen Sie sicher, dass Ihr Angebot jede zwingende Forderung (z.B. Lieferbedingung) ohne Einschränkung erfüllt. Selbst die Formulierung „grundsätzlich“ in Verbindung mit einer abweichenden Regellieferung kann zum Ausschluss führen.
Grenzen der Aufklärung: Wenn die Vergabestelle zur Aufklärung auffordert, dienen Ihre Erklärungen der Klarstellung, nicht der nachträglichen Änderung des Angebots. Bestätigt Ihre Aufklärung die Nicht-Konformität, ist der Ausschluss unvermeidbar.
Mindestmengen-Risiko kalkulieren: Bedenken Sie, dass bei Massenwaren die Vergabestelle keine Mindestabnahmemenge garantieren muss. Kalkulieren Sie das Risiko, dass die Schätzmengen nicht vollständig abgerufen werden.