Unser Rechtsanwalt Dr. Ferdinand Moors hat sich am 28. Februar 2025 in einem abante live zum Vergaberecht mit dem Beschluss der Vergabekammer Sachsen vom 13. März 2023 (Az.: 1/SVK/034–22) befasst.
Die Vergabekammer hat eine spannende Entscheidung getroffen, die sich mit einem oft diskutierten Thema im Vergaberecht befasst: Der Ausschluss eines Bieters wegen fehlender „Kernbestandteile” seiner Angebotsunterlagen. Der Beschluss verdeutlicht, dass das Vergaberecht als Querschnittsmaterie nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern immer auch Bezüge zu anderen Rechtsgebieten – in diesem Fall zum allgemeinen Zivilrecht – im Blick gehalten werden müssen.
Hier gelangen Sie zum Video der Besprechung dieser Entscheidung:
Der Fall: Ein fehlendes Blatt führt zum Ausschluss
Im konkreten Fall reichte ein Bieter ein Angebot bei der Vergabe einer Bauleistung ein. Das dazugehörige Angebotsschreiben (Formblatt 213) bestand – wie nach dem VHB-Unterlagensatz üblich – aus drei Seiten. Beim Angebot des Bieters fehlte jedoch die dritte Seite. Dieses enthält regelmäßig mehrere vorformulierte Erklärungen des Bieters zu seinem Angebot, so wie etwa die Zustimmung zur Langfassung des Leistungsverzeichnisses und ein Textfeld, in dem der Name des Bieters bei einem elektronischen Angebot eingegeben werden soll. Die Auftraggeberin wertete das Fehlen der Seite 3 als formellen Mangel und schloss das Angebot gemäß § 16 Nr. 2 VOB/A EU i. V. m, § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A EU aus. Sie argumentierte, dass es sich bei dem Angebotsschreiben um einen Kernbestandteil des Angebots handele, der nicht nachgefordert werden dürfe. Zudem sei die Identität des Bieters aus den ersten beiden Seiten des Formblatts nicht eindeutig ersichtlich gewesen. Der Bieter wehrte sich gegen den Ausschluss und wandte sich an die Vergabekammer Sachsen.
Die Entscheidung: Ausschluss ist rechtswidrig
Die Vergabekammer stellte fest, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt wurde und der Ausschluss des Angebots rechtswidrig war.
1. Identität des Bieters war erkennbar
Die Vergabekammer wies darauf hin, dass die Identität des Bieters aus mehreren anderen Angebotsunterlagen klar hervorging. Neben den ersten beiden Seiten des Angebotsschreibens enthielten auch weitere Unterlagen, die über das Vergabeportal eingereicht wurden, eindeutige Informationen über den Bieter. Die Auftraggeberin hätte also nicht ausschließlich auf das Fehlen der Angaben auf Seite 3 des Formblatts 213 abstellen dürfen.
2. Kein Kernbestandteil des Angebots
Ein zentrales Argument der Vergabekammer war, dass die dritte Seite des Formblatts 213 keine Kernbestandteile eines Angebots enthielt. Ein Kernbestandteil ist nur dann gegeben, wenn das Angebot ohne ihn inhaltsleer wäre oder sich durch eine nachträgliche Ergänzung die Wettbewerbsbedingungen verändern würden. Da die fraglichen Erklärungen auch an anderen Stellen der Vergabeunterlagen vorhanden waren, wurde der Ausschluss als unverhältnismäßig bewertet.
3. Textform statt Schriftform
Interessant ist auch die rechtliche Einordnung zur Textform: Die Auftraggeberin hatte festgelegt, dass Angebote elektronisch in Textform einzureichen sind. Nach § 126b BGB ist dafür lediglich eine lesbare Erklärung auf einem dauerhaften Datenträger notwendig, ohne dass eine Unterschrift oder eine andere Abschlussform erforderlich ist. Die Vergabekammer verwies darauf, dass mit der Reform des § 126b BGB im Jahr 2014 das Erfordernis eines ausdrücklichen Abschlusses einer Willenserklärung abgeschafft wurde.
Fazit: Mehr Flexibilität bei Nachforderungen gefordert
Die Entscheidung zeigt, dass Auftraggeber bei der Angebotsprüfung nicht nur auf formale Vorgaben achten dürfen, sondern das Gesamtbild im Auge behalten müssen. Das Fehlen einer Seite eines Angebotsschreibens führt nicht automatisch zum Ausschluss, wenn die relevanten Informationen anderweitig vorliegen. Die Vergabekammer betont damit eine praxisnahe und weniger formalistische Sichtweise, die dem Grundsatz der Wettbewerbsoffenheit Rechnung trägt. Es bleibt abzuwarten, ob andere Vergabekammern und Gerichte dieser Linie folgen oder an einer strengeren Formauslegung festhalten.
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