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Aktuelles Vergaberecht in 15 Minuten: Vergabe von IT-Pflege- und Wartungsverträgen - Berufung auf Ausschließlichkeitsrechte weiterhin möglich?

Aktu­el­les Ver­ga­be­recht in 15 Minu­ten: Ver­ga­be von IT-Pfle­ge- und War­tungs­ver­trä­gen – Beru­fung auf Aus­schließ­lich­keits­rech­te wei­ter­hin mög­lich?

Unser Rechts­an­walt Dr. Ste­fan Schmidt hat sich am 28. März 2025 in einem aban­te live zum Ver­ga­be­recht mit dem Urteil des Euro­päi­schen Gerichts­hofs (EuGH) vom 9. Janu­ar 2025 (Az.: C‑578/23) befasst.

Der EuGH rüt­telt an bis­he­ri­gen Stan­dards öffent­li­cher Auf­trag­ge­ber und hat ein weg­wei­sen­des Zei­chen für IT-Ver­ga­ben gesetzt. Die Ent­schei­dung betrifft zen­tra­le Fra­gen zum Umgang mit War­tungs- und Pfle­ge­ver­trä­gen für pro­prie­tä­re Soft­ware – und dürf­te die Pra­xis öffent­li­cher Auf­trag­ge­ber euro­pa­weit ver­än­dern.

Hier gelan­gen Sie zum Video der Bespre­chung die­ser Ent­schei­dung:

Der Fall: Pfle­ge­ver­trag für pro­prie­tä­re Soft­ware

Im Mit­tel­punkt stand ein Fall aus der Tsche­chi­schen Repu­blik. Die dor­ti­ge Gene­ral­fi­nanz­di­rek­ti­on hat­te 1992 eine kom­ple­xe Steu­er­soft­ware von IBM ent­wi­ckeln las­sen. Die­se Soft­ware war pro­prie­tär – Nut­zungs­rech­te und Quell­code blie­ben voll­stän­dig bei IBM. Jah­re spä­ter lief ein Pfle­ge- und War­tungs­ver­trag aus. Die Behör­de plan­te, einen neu­en Ver­trag über 1,3 Mil­lio­nen Euro direkt an IBM zu ver­ge­ben – mit der Begrün­dung, dass wegen der bei IBM lie­gen­den gewerb­li­chen Schutz­rech­te kein ande­rer Anbie­ter infra­ge kom­me. Dies monier­te die tsche­chi­sche Wett­be­werbs­be­hör­de. Nach meh­re­ren Instan­zen lan­de­te die Fra­ge vor dem EuGH: Ist eine Direkt­ver­ga­be sol­cher Leis­tun­gen uni­ons­rechts­kon­form?

Die Ent­schei­dung: Wett­be­werbs­grund­satz schlägt Beschaf­fungs­au­to­no­mie

Der EuGH nahm die Gele­gen­heit wahr, Grund­sätz­li­ches klar­zu­stel­len: Das Wett­be­werbs­prin­zip ist eine so tra­gen­de Säu­le des Uni­ons­rechts, dass es bei der Anwen­dung von Rechts­ak­ten der Uni­on stets zu beach­ten ist  – auch im Rah­men der RL 2004/18/EG. Für die aktu­el­le RL 2014/24/EU gilt dies erst recht. Kon­kret bedeu­tet das: Öffent­li­che Auf­trag­ge­ber müs­sen alles in ihrer Macht Ste­hen­de tun, um Aus­nah­me­tat­be­stän­de für nicht wett­be­werb­li­che Ver­fah­ren zu ver­mei­den.

Ein zen­tra­les Kri­te­ri­um: Die Behör­de darf nicht selbst ver­ant­wort­lich dafür sein, dass kein Wett­be­werb mög­lich ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sie in der ursprüng­li­chen Soft­ware­ver­ga­be ver­säumt hat, sich aus­rei­chen­de Nut­zungs­rech­te ein­räu­men zu las­sen. Selbst wenn dies anfangs unmög­lich war, muss sie sich fort­lau­fend um eine Lösung bemü­hen.

Rück­blick auf die Erst­ver­ga­be ent­schei­dend: Bri­sant ist zudem: Bei jeder Fol­ge­ver­ga­be – etwa für War­tung und Pfle­ge – ist inzi­dent zu prü­fen, ob die initia­le Soft­ware­ver­ga­be ver­ga­be­rechts­kon­form erfolgt ist. Ist das nicht der Fall, kann auch die Fol­ge­be­auf­tra­gung nicht recht­mä­ßig sein. Der EuGH stell­te somit klar: Auch Jah­re nach dem Ver­trags­schluss kann eine feh­ler­haf­te Ver­ga­be Kon­se­quen­zen nach sich zie­hen.

Kri­te­ri­en für die Recht­mä­ßig­keit von Fol­ge­ver­ga­ben: Der Gerichts­hof benennt kla­re Anfor­de­run­gen, wann eine ver­ga­be­rechts­freie Direkt­ver­ga­be zuläs­sig ist. Liegt eines die­ser Kri­te­ri­en nicht vor, ist eine wett­be­werbs­freie Ver­ga­be nicht zuläs­sig – auch wenn die tech­ni­schen Rah­men­be­din­gun­gen dies auf den ers­ten Blick nahe­le­gen.

  1. Initia­le Ver­ga­be war recht­mä­ßig, ins­be­son­de­re wur­de das EU-Ver­ga­be­recht beach­tet.
  2. Nut­zungs­rech­te und/oder Quell­code wur­den gesi­chert oder es war objek­tiv unmög­lich, die­se zu erhal­ten.
  3. Der Auf­trag­ge­ber hat fort­lau­fend und ernst­haft ver­sucht, Zugang zu die­sen Rech­ten zu erhal­ten.
  4. Der Aus­schließ­lich­keits­sta­tus wur­de nicht durch eige­nes Ver­hal­ten her­bei­ge­führt oder ver­fes­tigt.

Pra­xis­fol­gen: Neue Stan­dards für IT-Ver­ga­ben

Der EuGH schafft damit einen star­ken Anreiz, IT-Ver­ga­ben lang­fris­tig wett­be­werbs­of­fen zu hal­ten – und macht deut­lich: Wirt­schaft­li­che Bequem­lich­keit ist kein Argu­ment gegen den Bin­nen­markt­wett­be­werb. Die Trag­wei­te die­ser Ent­schei­dung ist erheb­lich. Öffent­li­che Auf­trag­ge­ber müs­sen künf­tig

  • Ver­ga­be­kri­te­ri­en für Soft­ware­pro­jek­te neu den­ken, ins­be­son­de­re in Bezug auf Nut­zungs­rech­te.
  • Bestands­ver­trä­ge pro­ak­tiv über­prü­fen, um künf­ti­ge Direkt­ver­ga­ben rechts­si­cher zu gestal­ten.
  • Open Source-Lösun­gen als stra­te­gi­sche Opti­on prü­fen, um einen Ven­dor-Lock-In zu ver­mei­den.
  • Doku­men­tie­ren, dass ernst­haf­te Bemü­hun­gen zur Rech­te­ein­räu­mung unter­nom­men wur­den.

Fazit: Ver­ga­be­recht­lich sau­be­re IT-Stra­te­gien gefragt

Mit sei­nem Urteil zieht der EuGH eine kla­re Linie: Pro­prie­tä­re Soft­ware darf nicht zur dau­er­haf­ten Umge­hung des Wett­be­werbs füh­ren. Auf­trag­ge­ber müs­sen bereits bei der Erst­ver­ga­be und im lau­fen­den Betrieb sicher­stel­len, dass eine Aus­schrei­bung von Fol­ge­auf­trä­gen mög­lich bleibt – oder Alter­na­ti­ven aktiv prü­fen. Die­ser Schritt stärkt den Wett­be­werb und för­dert lang­fris­tig die Inno­va­tions- und Aus­wahl­frei­heit in der öffent­li­chen IT-Beschaf­fung.

Wei­te­re Ein­bli­cke und detail­lier­te Erläu­te­run­gen zu diver­sen Ent­schei­dun­gen fin­den Sie in unse­ren ande­ren Vide­os auf dem You­Tube-Kanal aban­te Rechts­an­wäl­te. Schau­en Sie sehr gern vor­bei!

Hin­weis: Die­ser Rechts­tipp ersetzt kei­nen anwalt­li­chen Rat im Ein­zel­fall. Er ist natur­ge­mäß unvoll­stän­dig, auch ist er nicht auf Ihren Fall bezo­gen und stellt zudem eine Moment­auf­nah­me dar, da sich gesetz­li­che Grund­la­gen und Recht­spre­chung im Lauf der Zeit ändern. Er kann und will nicht alle denk­ba­ren Kon­stel­la­tio­nen abde­cken, dient Unter­hal­tungs- und Erst­ori­en­tie­rungs­zwe­cken und soll Sie zur früh­zei­ti­gen Abklä­rung von Rechts­fra­gen moti­vie­ren, nicht aber davon abhal­ten. aban­te Rechts­an­wäl­te war nicht am Ver­fah­ren betei­ligt und hat kei­ne Par­tei im Streit­ver­fah­ren ver­tre­ten.

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