2.Vergabekammer Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03.08.2022, Az.: 2 VK LSA 30/22
Leitsätze
Wenn das Schülerbeförderungsunternehmen für das nächste Schuljahr neue Preise übersendet und der Auftraggeber sich damit einverstanden erklärt, kann der Auftraggeber später keinen Rückzug machen und noch mal ein ordentliches Vergabeverfahren für dieses Schuljahr einleiten. Dann bedarf es nämlich keines Vergabeverfahrens mehr. Der Zuschlag ist durch das Einverständnis des Auftraggebers de facto erteilt worden.
Der Verstoß gegen § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB steht dem Vertragsabschluss nicht entgegen, da ein solcher Verstoß nur in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt werden kann. Meldet sich also kein Konkurrent innerhalb der dafür bestehenden Fristen, so bleibt der Vertrag wirksam.
Sachverhalt
Der Auftraggeber schrieb für jeweils vier Schuljahre die Leistung der Personensonderbeförderung in einem europaweiten offenen Verfahren sowohl 2020 als auch 2021 aus. Beide Verfahren wurden aufgehoben. Daraufhin lud der Auftraggeber die spätere Antragstellerin des Vergabenachprüfungsverfahrens zu einer Gesprächsrunde ein, um für das kommende Schuljahr 2022/23 eine Zwischenlösung zu finden. Die Antragstellerin bekundete Ihr Interesse, jedoch nur nach Maßgabe neuer Konditionen. Diese teilte die Antragstellerin dem Auftraggeber mit, der in seinem Antwortschreiben der Antragstellerin mitteilte, dass den neuen Konditionen zugestimmt und eine Auftragsschreiben in den nächsten Tagen an die Antragstellerin übersandt werde.
Ein drittes Unternehmen rügte die – aus seiner Sicht: nur beabsichtigte – interimsweise Direktvergabe. Der Auftraggeber teilte daraufhin diesem Unternehmen mit, dass keine Direktvergabe stattfinde, sondern die Zwischenlösung für das Schuljahr als wettbewerbliches Verfahren gestaltet werden solle und Unternehmen noch zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden würden. Im Anschluss benachrichtigte der Auftraggeber die Antragstellerin, dass er bislang nur avisiert habe, die Konditionen zu akzeptieren, und aufgrund der Rüge eines dritten Unternehmens eine Angebotsabfrage durchgeführt werde.
Der Auftraggeber forderte alle am aufgehobenen Verfahren beteiligten Unternehmen und die Antragstellerin zur Angebotsabgabe auf. Die Antragstellerin rügt dieses Vorgehen, obwohl Sie zugleich der Aufforderung nachkam und ein Angebot frist- und formgerecht abgab, und stellte bei der zuständigen Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag.
Im Zuge dessen beantragte der Auftraggeber die Zuschlagserteilung für zwei Lose gemäß § 169 Abs. 2 GWB vorzeitig zu gestatten, da das neue Schuljahr immer näher rückte. Hierüber entschied die Vergabekammer.
Rechtliche Würdigung
Dem Antrag des Auftraggebers auf vorzeitige Zuschlagserteilung wurde nicht stattgegeben. Das war nicht überraschend, dieser Antrag hat so gut wie nie Erfolg.
Interessant war vielmehr die Begründung der Vergabekammer. Sie verneinte bereits ein Rechtschutzbedürfnis. Da mit der Antragstellerin bereits ein Vertrag zur Erbringung der streitgegenständlichen Leistung geschlossen worden sei, fehle dem Auftraggeber ein Interesse an der vorzeitigen Zuschlagserteilung. Das Schreiben der Antragstellerin mit den neuen Konditionen sei als Angebot zu werten, denn es sei unmissverständlich auf den Abschluss eines Vertrages gerichtet gewesen. Der Auftraggeber habe dies durch ein Einfaches „Ja“ annehmen können.
Dieses Angebot habe der Auftraggeber dann mit seinem Antwortschreiben, in welchem er die neuen Konditionen akzeptiert habe, angenommen. Diese Schreiben könne vom Erklärungsempfänger, der Antragstellerin, unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte nur als Annahme ausgelegt werden. Das noch nicht übersandte Auftragsschreiben steht dieser Auslegung nicht im Wege. Mit dem späteren Schreiben des Auftraggebers an die Antragstellerin, in welchem der Auftraggeber mitteilt, die Konditionen lediglich avisiert zu haben, könne keine konkludente Kündigung oder eine Anfechtungserklärung gesehen werden, da der Auftraggeber bereits nicht zum Ausdruck gebracht habe, diese Gestaltungsrechte ausüben zu wollen. Diese Schreiben habe lediglich feststellenden Charakter. Aus denselben Gründen könne die spätere Aufforderung zur Angebotsabgabe nicht als Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages ausgelegt werden, da diesem Schreiben lediglich zu entnehmen sei, dass der Auftraggeber davon ausgehe, dass noch kein Vertrag zustande gekommen sei. Die Antragstellerin habe auch nicht durch Abgabe eines Angebots im streitgegenständlichen Verfahren konkludent die Beendigung des Vertrages erklärt. Die Antragstellerin wäre bei Nicht-Abgabe eines Angebots das Risiko eingegangen, den Auftrag nicht zu erhalten.
Nicht zu entscheiden hatte die Vergabekammer, ob ein Verstoß gegen § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB vorlag. Dafür sprach freilich einiges. Ein solcher Verstoß kann aber nur im Wege eines Nichtigkeitsfeststellungsantrags festgestellt werden. Im vorliegenden Fall wurde kein Nichtigkeitsfeststellungsverfahren eingeleitet, sodass der Vertrag nach dieser Vorschrift auch nicht unwirksam ist.
Fazit
Es zeigt sich, dass Vertragsverhandlungen – insbesondere wenn sie außerhalb ordentlicher Vergabeverfahren erfolgen – auch mal schnell in Vertragsschlüsse umschlagen können. Für Bieter kann es sich daher gerade in Interimsbeauftragungssituationen lohnen, frühzeitig auf den Auftraggeber u.U. mit neuen Konditionen zuzutreten und um Einverständnis zu bitten.
Auftraggeber sollten hier also zugleich vorsichtig sein und ausdrücklich markieren, wenn und soweit ihnen der Rechtsbindungswille fehlt. Gerade auch kommunalrechtliche Grenzen der Vertretungsmacht werden in vergaberechtlichen Zusammenhängen nicht immer anerkannt.
Zugleich ist es für Bieterunternehmen ratsam, wenn sie von einem Vertragsschluss ausgehen, der Auftraggeber jedoch nicht, das Nachprüfungsverfahren einzuleiten, sobald der Auftraggeber zur – nur aus seiner Sicht nötigen – Neuvergabe schreitet. Liegt ein Vertrag schon vor, so wird der Nachprüfungsantrag Erfolg haben. Denn der Auftraggeber informiert fehlerhaft über seinen Beschaffungsbedarf. Er hat ihn ja bereits gedeckt durch den Vertrag, an dessen Zustandekommen er noch nicht so recht glauben mag.
Der Vorteil dieser Vorgehensweise für betroffene Bieter liegt darin, dass es manchmal länger dauern kann, von Zivilgerichten den Bestand des Vertrags festgestellt zu bekommen als von einer Vergabekammer, die grundsätzlich innerhalb von 5 Wochen entscheiden muss.
*Dieser Rechtstipp ersetzt keinen anwaltlichen Rat im Einzelfall. Er ist naturgemäß unvollständig, auch ist er nicht auf Ihren Fall bezogen und stellt zudem eine Momentaufnahme dar, da sich gesetzliche Grundlagen und Rechtsprechung im Lauf der Zeit ändern. Er kann und will nicht alle denkbaren Konstellationen abdecken, dient Unterhaltungs- und Erstorientierungszwecken und soll Sie zur frühzeitigen Abklärung von Rechtsfragen motivieren, nicht aber davon abhalten.