Haben Sie es erkannt? Das Zitat stammt aus Gottfried Kellers Grünem Heinrich. Aber wie gelangen wir vom Schweizer Goethe zu einer – etwas hochtrabend – „Bieterstrategie“?
Willst du gelten …
Bieter in Vergabeverfahren entscheiden nicht nur über ihr Angebot, sondern auch über ihr Verhalten vor der Angebotsabgabe. Eine manchmal unbedarfte, manchmal aber auch taktisch motivierte Herangehensweise ist es, Fragen zu stellen. Der eine oder andere Bieter schüttet die Vergabestelle sogar regelrecht mit Nachfragen, Anmerkungen und Hinweisen zu. Bildlich gesprochen, meldet er sich lautstark an, steht schnaufend in der Mitte des Raums und wedelt mit den Armen. Hier wird die Verkaufsstrategie, Präsenz zu zeigen, in die Angebotsabgabe hinein verlängert. Solche Bieter schweigen gerade nicht. Sie sind keine Götter, sondern nahbare Menschen aus Fleisch und Blut.
… mach dich selten
Anders die Bieter, die aus dem Nichts kommen. Gleichgültig, ob sie zuvor aufgefordert wurden oder auf eine öffentliche Bekanntmachung geboten haben, ob ihre Teilnahme am Verfahren aus anderen Gründen absehbar war oder völlig überraschend erscheint: Ihre erste Wortmeldung ist das Angebot, sei es indikativ oder auch endgültig. Sie sprechen – nur – durch ihr Angebot.
Jenseits der Sprichwörter
Aber was sind nun die möglichst handfesten Vorteile, die diese schweigenden Götter für sich verbuchen können? Es kommt vor allem auf die Verfahrensweise, die Branche und das Bewerberumfeld an.
Öffentliche Vergabeverfahren
In öffentlichen Vergabeverfahren sind Bieterfragen zu anonymisieren und – ebenso wie die Antworten – allen Interessenten mitzuteilen. Aber auch im Einkauf privater Unternehmen, der mehr und mehr formalisiert wird, ist diese Tendenz zu beobachten. Der Fragende arbeitet also nie nur im eigenen Interesse. Er deckt Unklarheiten und Lücken in der Leistungsbeschreibung auf – zum Wohle aller Interessenten. Er vernichtet Nachtrags- bzw. Change-Request-Potenziale – zum Nachteil seines Unternehmens. Unter Umständen verraten seine Fragen beträchtliches Sonderwissen oder schlicht Eigenheiten seines Unternehmens – und schon weiß die Konkurrenz, wer sich beteiligt. Darüber kann der schweigende Gott – nur schweigen. Wir sehen ihn nicht, wir wissen nichts von ihm. Er verrät sich nicht, er teilt uns nichts mit.
Außenseiter-Strategie
Für Außenseiter, die den Markteintritt suchen, kann es sich empfehlen zu schweigen. Wenn weder die Etablierten noch die Vergabestelle den Außenseiter auf dem Schirm haben, die Vorgaben der Ausschreibungen jedoch erfüllt werden, kann das „Bieten aus dem Nichts“ ein probates Mittel sein. Das Bewerberumfeld hat keine Warnsignale erhalten, es stellt sich vor allem preislich auf nichts Besonderes ein.
Marktführer-Strategie
Auch für den Marktführer kann es sich anbieten zu schweigen. Im (für ihn) besten Fall hat er getreu dem Motto „Die Vergabe gewinnt man vor der Vergabe“ gehandelt, und zwar nicht durch rechtswidrige Einflussnahme oder Vorbefassung, sondern im Wege legaler Marktbearbeitung und Marktdurchdringung. Dann aber muss er niemanden mehr aufscheuchen durch Nachfragen.
Fazit
Schweigend Gott zu spielen, das funktioniert nicht immer und es ergibt auch nicht immer Sinn. Aber jeder Bieter sollte diese Möglichkeit kennen und im Einzelfall für sich prüfen.
*Dieser Rechtstipp ersetzt keinen anwaltlichen Rat im Einzelfall. Er ist naturgemäß unvollständig, auch ist er nicht auf Ihren Fall bezogen und stellt zudem eine Momentaufnahme dar, da sich gesetzliche Grundlagen und Rechtsprechung im Lauf der Zeit ändern. Er kann und will nicht alle denkbaren Konstellationen abdecken, dient Unterhaltungs- und Erstorientierungszwecken und soll Sie zur frühzeitigen Abklärung von Rechtsfragen motivieren, nicht aber davon abhalten.