Unser Fachanwalt für Vergaberecht und Partner Ronny Lohmann hat sich am 14. Februar 2025 in einem abante live zum Vergaberecht mit dem Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Rostock vom 18. Juli 2024 (Az. 17 Verg 1/24) befasst.
Beschwerdegegenstand war die Frage der Gesamtvergabe bei einem Großbauprojekt „Brückenbau“. Das Gericht hat die Anforderungen an die Dokumentation und Begründung einer solchen Vergabe verschärft. Die Entscheidung ist besonders für öffentliche Auftraggeber von Bedeutung, da sie verdeutlicht, welche Hürden bei der Abweichung von der Fachlosvergabe bestehen.
Hier gelangen Sie zum Video der Besprechung dieser Entscheidung:
Der Fall: Unzulässige Gesamtvergabe bei Großbauvorhaben
Gegenstand der Entscheidung war ein Brückenbauprojekt im Norden Deutschlands, bei dem mehrere Bauwerke – darunter Brücken, eine Lärmschutzwand, eine Kollisionswand und eine Uferwand – in einem einzigen Vergabeverfahren zusammengefasst wurden. Der Auftraggeber entschied sich bewusst gegen eine Fachlosvergabe und begründete dies mit technischen und wirtschaftlichen Argumenten.
Besonders brisant: Während für die Brückenbauarbeiten keine Nachunternehmer zugelassen waren, erlaubte die Ausschreibung den Einsatz von Nachunternehmern für den Bau der Schutzwände. Dies spielte später eine zentrale Rolle in der gerichtlichen Bewertung.
Der Auftraggeber stützte seine Entscheidung auf mehrere Gründe:
- Technische Abhängigkeiten: Die Uferwand sei beispielsweise als Baugrubensicherung untrennbar mit der Brücke verbunden.
- Zeitliche Aspekte: Die parallele Ausführung der Arbeiten sei notwendig, um Verzögerungen zu vermeiden.
- Korrosionsschutz und Einheitlichkeit: Ein einheitlicher Bau durch einen Generalunternehmer sei erforderlich, um Qualitäts- und Erscheinungsbildanforderungen gerecht zu werden.
- Komplexität und Koordination: Ein Generalunternehmer könne die gesamte Baumaßnahme effizienter koordinieren als eine Aufteilung in Fachlose.
Diese Argumente wurden in einem ausführlichen Vergabevermerk dokumentiert.
Die Entscheidung: Gesamtvergabe nur ausnahmsweise zulässig
- Das Absehen von der Losaufteilung kommt nur dann in Betracht, wenn sich der Auftraggeber im Einzelnen mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegensprechenden Gründen auseinandersetzt und sodann eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange trifft, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssen. Objektiv zwingender Gründe für die zusammenfassende Vergabe bedarf es demgegenüber nicht.
- Bei der Prognose der Vor- und Nachteile der Losvergabe, deren Gewichtung und der Abwägung steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu.
- Bei der Abwägung der für und gegen die Losaufteilung sprechenden Gründe sind die typischen Vor- und Nachteile mit der vom Gesetzgeber vorgegebenen Gewichtung zu berücksichtigen und um die im Einzelfall bestehenden Besonderheiten zu ergänzen.
Das OLG Rostock prüfte die Gesamtvergabe anhand von § 97 Abs. 4 GWB und stellt fest, dass es einen eigenständigen Markt für die jeweiligen Leistungen (Brückenbau und Bau von Schutzwänden) gibt, folglich ein Abweichen vom gesetzlich vorgegebenen Grundsatz der Fachlosvergabe nur dann vergaberechtskonform ist, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dafür überwiegen.
Vorliegend sprach bereits die Zulassung von Nachunternehmern für Schutzwände dafür, dass eine Fachlosvergabe möglich gewesen wäre. Zudem entsprach die Dokumentation und die Begründung der Gesamtvergabe nicht den gesetzlichen Anforderungen.
Fehlerhafte Begründung – Warum das Gericht die Vergabe kippte
Laut OLG Rostock muss der Auftraggeber eine umfassende Abwägung zwischen Fachlosvergabe und Gesamtvergabe vornehmen und dabei nachweisen, dass eine Fachlosvergabe erhebliche Nachteile mit sich bringt. Dies war hier nicht der Fall. Insbesondere fehlten:
- Eine vollständige und neutrale Bewertung der Vor- und Nachteile der Fachlosvergabe.
- Eine belastbare Prognose, dass eine Fachlosvergabe unzumutbare wirtschaftliche oder technische Risiken bergen würde.
- Eine schlüssige und widerspruchsfreie Dokumentation der Entscheidungsgrundlage.
Das Gericht betonte, dass eine Gesamtvergabe nicht allein aufgrund von Verwaltungsvereinfachung oder allgemeinen Effizienzüberlegungen erfolgen darf. Nicht ausreichend sind demnach regelmäßig:
- fernliegende Risiken – notwendig ist eine einzelfallbezogene Ermittlung der Eintrittswahrscheinlichkeit und des Ausmaßes
- „nur“ anerkennenswerten Gründen für Gesamtvergabe bspw.
- Entlastung des AG von Koordinierungsaufgaben
- organisatorischer Mehraufwand
- typischer Ausschreibungs- und Prüfungsaufwand
- typische Koordinierung zwischen verschiedenen Gewerken (Schnittstellenrisiken)
- typischen bauvorhabenspezifischen Synergieeffekte
- höherer Aufwand bei Gewährleistungen
- typische Nachteile der Losvergabe ggü. Vergaben von GU an Nachunternehmer ohne Vergabeverfahren
Folgen für Auftraggeber: Was ist zu beachten?
Die Entscheidung zeigt deutlich, dass die Fachlosvergabe der gesetzliche Regelfall ist. Wer eine Gesamtvergabe plant, sollte folgende Punkte besonders beachten:
- Marktanalyse und Dokumentation: Der Markt für Fachlose muss detailliert analysiert und das Ergebnis schriftlich festgehalten werden.
- Nachvollziehbare Begründung: Die Entscheidung für eine Gesamtvergabe muss auf klar belegbaren wirtschaftlichen oder technischen Gründen basieren und den gesetzlichen Anforderungen an Aufbau und Inhalt genügen.
- Vermeidung widersprüchlicher Vergabebedingungen: Wenn Nachunternehmer für Teile der ausgeschriebenen Leistungen zugelassen werden, kann dies gegen die Argumentation für eine Gesamtvergabe sprechen.
- Transparente Abwägung: Alle relevanten Aspekte müssen neutral abgewogen und dokumentiert werden.
Fazit
Gesamtvergaben – gerade in Zeiten, in denen der öffentliche Hand konjunkturbedingt eine große Bedeutung zukommt – sind im Wege des Primärrechtsschutzes angreifbar. Dies kann dazu führen, dass die mit der Gesamtvergabe regelmäßig auch verfolgten Zielstellungen (Zeit- und Kostenersparnis) „kippen“.
Als Ausnahme vom Regelfall sind Gesamtvergaben gerade bei Beschaffungen, bei denen Fördermittel zum Einsatz kommen, ein beachtlicher Risikofaktor, zeitlich nachlaufend für den Zeitraum der Verwendungsnachweisprüfung. Fördermittelgeber sollten daher frühzeitig in die konkrete „Beschaffungsarchitektur“ einbezogen werden.
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