Teil 1: Reform für eine „Nachhaltige Beschaffung“
Ende September letzten Jahres wurde der Referentenentwurf zum Vergabetransformationsgesetz – welcher eine umfassende Überarbeitung der bundesrechtlichen Vergaberechtsnormen im Ober- wie im Unterschwellenbereich vorsieht – veröffentlicht und damit das Ergebnis eines Prozesses, welcher vor knapp zwei Jahren begann.
In diesem und in einem weiteren Beitrag setzen sich Friedrich Schnoor und Dr. Ferdinand Moors kritisch mit diesem Entwurf auseinander. Sie beleuchten im ersten Teil das Thema „Nachhaltige Beschaffung“ und in einem weiteren Artikel die Auswirkungen auf den Rechtsschutz.
Einleitung – eine Transformation der Vergabe
1. Was lang währt, wird auch gut?
Laut BMWK ging dem Fertigstellen des Referentenentwurfs zum Vergabetransformationsgesetz eine „intensive Einbindung von Fachkreisen, Verbänden und der Zivilgesellschaft voraus, bei der über 450 Stellungnahmen eingereicht und in mehreren Gesprächsrunden – auch unter Einbeziehung der Länder und Kommunen – diskutiert“ wurde. Dabei soll diese Reform des Vergaberechts nach Aussage des Ministers Habeck nichts weniger als ein „Paukenschlag sein“ (BMWK, 30.09.2024, abzurufen unter https://kurzlinks.de/blt0, zuletzt abgerufen am 17.10.2024).
Ob dieser „Paukenschlag“ auch zu hören sein wird, mag im Ohr des Hörenden liegen – jedenfalls ist festzustellen, dass einige sehr weitreichende und einschneidende Änderung zentraler Vergabenormen enthalten sind, welche absehbar zu einer spürbaren Änderung der Vergabepraxis führen werden. Auch nach dem Ende der “Ampel-Regierung” wird das Gesetzesvorhaben weiterverfolgt, wie die Stellungnahme des Bundesrates vom 20. Dezember 2024 (BR-Drs. 591/24) zeigt; gleichwohl ist nicht absehbar, wie es mit dem Entwurf konkret weitergehen wird.
2. Ringparabel 2.0
Studiert man die die zahlreichen Änderungen, Einschübe und Weglassungen, so mag man zuweilen an das Paradox der Ringparabel von Lessing erinnert sein: der Entwurf trägt augenscheinlich die politische Kernbotschaft aller drei ehemaligen Koalitionspartner mit dem Versuch, das Vergaberecht gleichzeitig sozialer, ökologischer und liberaler zu machen. Ob diese rechtspolitische Herausforderung gemeistert ist und der vergaberechtliche Frieden unter den drei Parteien wiederhergestellt ist, kann dieser Beitrag nicht abschließend beantworten. Dafür sind die Änderungen wie etwa ein veränderter Bauauftragsbegriff oder die Nachschärfungen bei der Inhouse-Vergabe zu umfangreich, um ihre Auswirkungen sämtlich zu erfassen. Dieser Beitrag möchte daher konkret auf zwei erhebliche Vorhaben eingehen, die nach Auffassung der Autoren von der Breite der Vergabestellen in Zukunft dringend zu berücksichtigen sein werden: Die Neueinführung des § 120a GWB-RefE als neue „Zentralnorm“ für die nachhaltige Beschaffung (unter II.) und die Umgestaltung des Nachprüfungsverfahrens (unter III.).
Reform für eine „Nachhaltige Beschaffung“
Problemaufriss
Die Notwendigkeit eines ökologischen Umbaus von Gesellschaft, Wirtschaft und öffentlicher Infrastruktur zum Verlangsamen und möglichen Stopp eines rapiden Klimawandels ist im Jahre 2024 – dem vermutlich (mal wieder) wärmsten Jahr seit Messbeginn – mit bereits zahlreichen dadurch eingetretenen Umwelt- und Unwetterkatastrophen nicht mehr sonderlich begründungsbedürftig (ZDF, Bericht vom 06.09.2024, abzurufen unter https://kurzlinks.de/3i94, zuletzt abgerufen am 23.10.2024).
Das öffentliche Beschaffungswesen hat mit einem Anteil von mehr als 16 % am europäischen Bruttosozialprodukt einen für die Wertschöpfung nicht zu unterschätzenden Umfang (Europäisches Parlament, Kurzdarstellungen zur Europäischen Union „Vergabe öffentlicher Aufträge, abzurufen unter https://kurzlinks.de/zqqt, zuletzt abgerufen am 23.10.2024). Die Koalition möchte diesen Anteil nutzen und dafür Sorge tragen, dass die Beschaffung nicht „nur“ sachgerecht durchgeführt wird, sondern auch zu einem „Treiber der […] Transformation zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ wird und zur „Schaffung grüner Leitmärkte“ beiträgt (Referentenentwurf, Entwurf eines Gesetzes zur Transformation des Vergaberechts, 30.09.2024, S. 1 f). Dies soll in vergaberechtlicher Sicht vor allem durch die Förderung von „nachhaltiger Beschaffung“ geschehen – wobei diese „Nachhaltigkeit“ hier eine ökologische und soziale Dimension aufweist.
Der Referentenentwurf hält fest, dass hinsichtlich dieses Themas zu wenig in deutschen Vergabestellen passiert. Zwar wird festgestellt, dass „einige Vergabestellen […] zum Thema Nachhaltigkeit bereits heute eine Strategie entwickelt und konkrete Ziele definiert…“ haben. Der Vergabestatistik nach finden Nachhaltigkeitskriterien jedoch nur in 13 % der Vergaben entsprechende Berücksichtigung (Bund: 9 %; Länder: 19 %; Kommunen 11 %); wobei diese Zahlen für das Berichtsjahr 2021 gelten und vorstellbar ist, dass sie heute etwas höher liegen dürften (Referentenentwurf, Entwurf eines Gesetzes zur Transformation des Vergaberechts, 30.09.2024, S. 47).
Aktuelle Rechtslage
Dies liegt vermutlich zumindest auch teilweise an der bisher eher unscharfen Rechtslage für die Berücksichtigung nachhaltiger sozialer und ökologischer Kriterien bei der Vergabe. Bislang fanden sich nur vereinzelt konkrete Regelungen für eine nachhaltige Vergabe, die im Zweifel nicht beachtet werden mussten oder deren Beachtung lediglich eine Formalität darstellte.
§ 97 Abs. 3 GWB sieht etwa vor, dass „bei der Vergabe […] soziale und umweltbezogene Aspekte nach Maßgabe dieses Teils berücksichtigt werden“. Gem. §§ 127 Abs. 1, 128 Abs. 2 GWB können bei der Aufstellung der Zuschlagskriterien und den Ausführungsbedingungen jeweils „umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden“. Auch die Merkmale des Auftragsgegenstands nach den Anforderungen in der Leistungsbeschreibung können gem. § 31 Abs. 3 VgV „soziale und umweltbezogene Aspekte betreffen“.
Bislang gibt es keine Verpflichtung, diese Aspekte einzubeziehen, was allein schon aufgrund der fehlenden Konkretisierung fraglich wäre. Auf bundesgesetzlicher Ebene finden diese Aspekte eine greifbarere Umsetzung lediglich in § 67 VgV bei der Beschaffung energieverbrauchsrelevanter Liefer- oder Dienstleistungen und bei der Berücksichtigung für Zugänglichkeitskriterien für Menschen mit Behinderung, § 121 Abs. 2 GWB, abgesehen von weiteren besonderen landesrechtlichen Vorgaben im Einzelfall (Ziekow, Ziekow/Völlink, 05. Auflage 2024, § 97 GWB, Rn.: 61–63.).
In diesem Zusammenhang ist auch § 13 KSG zu erwähnen, wonach die Träger öffentlicher Aufgaben bei ihren Planungen und Entscheidungen den Zweck des Klimaschutzgesetzes – den Schutz vor den Auswirkungen des Klimawandels, die Erfüllung nationaler und europäischer Klimaschutzziele und die ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen des Klimawandels – zu berücksichtigen haben. Dieses Berücksichtigungsgebot gilt für die Träger der öffentlichen Aufgaben auf allen Ebenen der Verwaltung bei ihren Planungen und Entscheidungen gem. § 13 Abs. 1 KSG – worunter auch vergaberechtliche Planungen und Entscheidungen fallen dürften – und in Hinblick auf die Beschaffungsvorgänge des Bundes nochmal konkret gem. § 13 Abs. 2 KSG.
Der neueingefügte § 120a GWB-RefE – eine „Zentralnorm zur nachhaltigen Beschaffung“?
§ 120a GWB-RefE
Berücksichtigung sozialer und umweltbezogener Kriterien
(1) Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge werden soziale und umweltbezogene Aspekte berücksichtigt. Zu diesem Zweck sollen öffentliche Auftraggeber im Rahmen der Leistungsbeschreibung oder, soweit im Einzelfall mit Blick auf den Auftragsgegenstand geeigneter, auf anderen Stufen des Vergabeverfahrens mindestens ein soziales oder ein umweltbezogenes Kriterium im Sinne der Absätze 2 und 3 berücksichtigen. Die Kriterien müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen und zu dessen Wert und den konkreten Beschaffungszielen verhältnismäßig sein.
(2) Umweltbezogen ist ein Kriterium insbesondere dann, wenn es darauf abzielt, dass zu beschaffende Waren, Bau- und Dienstleistungen, soweit möglich über ihren gesamten Lebenszyklus, klimaschonend, biodiversitätsfördernd, rohstoffschonend, energiesparend, wassersparend, schadstoffarm, abfallarm, langlebig, reparaturfreundlich, wiederverwendbar, recyclingfähig, unter Einsatz von Abfällen oder Rezyklaten oder aus nachwachsenden Rohstoffen oder möglichst gut geeignet zur umweltverträglichen Abfallbewirtschaftung hergestellt, erbracht oder ausgeführt werden.
(3) Sozial ist ein Kriterium insbesondere dann, wenn es darauf abzielt, dass zu beschaffende Waren, Bau- und Dienstleistungen unter fairen Arbeits- und Handelsbedingungen, unter Ermöglichung der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen, Benachteiligten oder Menschen mit Behinderungen, unter Förderung der Gleichstellung von Geschlechtern, ethnischen Gruppen, Benachteiligten oder Menschen mit Behinderungen, unter Einsatz sozialer Innovationen, unter Beachtung der Menschen- und Arbeitnehmerrechte oder unter Beachtung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) entlang der globalen Wertschöpfungskette hergestellt, erbracht oder ausgeführt werden. Sozial ist ein Kriterium auch dann, wenn es darauf abzielt, dass zu beschaffende Waren, Bau- und Dienstleistungen Benachteiligten oder Menschen mit Behinderungen in besonderem Maße zugänglich sind. Die Verpflichtung des Auftragnehmers zur Einhaltung tariflicher oder nicht-tariflicher Arbeitsbedingungen bei der Ausführung des Auftrags genügt den Anforderungen an das soziale Kriterium im Sinne der Absätze 1 und 4 nicht, soweit die Auferlegung dieser Verpflichtung in Erfüllung einer gesetzlichen Vorgabe oder einer Vorgabe auf Grund eines Gesetzes erfolgt.
(4) Bei der Beschaffung von Waren, Bau- und Dienstleistungen, die gemäß den auf Grundlage von Absatz 5 erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften für eine umweltbezogen nachhaltige Beschaffung besonders geeignet sind, müssen öffentliche Auftraggeber bei der Leistungsbeschreibung oder, soweit im Einzelfall mit Blick auf den Auftragsgegenstand geeigneter, auf anderen Stufen des Vergabeverfahrens mindestens ein umweltbezogenes Kriterium berücksichtigen. Satz 1 gilt hinsichtlich der Berücksichtigung mindestens eines sozialen Kriteriums entsprechend für die Beschaffung von Waren, Bau- und Dienstleistungen, die für eine sozial nachhaltige Beschaffung besonders geeignet sind. Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend.
(5) Die Bundesregierung erlässt mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften über Leistungen, die
1. für eine umweltbezogen nachhaltige Beschaffung besonders geeignet sind,
2. für eine sozial nachhaltige Beschaffung besonders geeignet sind,
3. nicht beschafft werden dürfen; die Beschaffung solcher Leistungen bleibt hierbei erlaubt, wenn dies aus Gründen des öffentlichen Interesses dringend geboten ist.
Bei der Auswahl der in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach Satz 1 Nummern 1 und 2 benannten Leistungen ist zu berücksichtigen, ob die Einhaltung der Vorgaben des Absatzes 4 bei der Beschaffung der betreffenden Leistung für die öffentlichen Auftraggeber mit vertretbarem Aufwand möglich ist. Zudem ist hierbei die Bedeutung einer sozial und umweltbezogen nachhaltigen Beschaffung gerade dieser Leistungen für die Förderung sozialer und umweltbezogener Nachhaltigkeit insgesamt zu berücksichtigen. Satz 3 gilt entsprechend für die Auswahl der in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach Satz 1 Nummer 3 benannten Leistungen. In den allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach Satz 1 kann die Bundesregierung allgemein oder für einzelne Leistungen vorgeben, dass die Vorgaben aus Absatz 4 auch bei der Beschaffung von Waren, Bau- und Dienstleistungen gelten, die in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften nicht benannt sind, soweit dort als besonders geeignet benannte Waren oder Dienstleistungen ein nicht unerheblicher Bestandteil der zu beschaffenden Ware sind oder in nicht unerheblichem Maße für die Ausführung der zu beschaffenden Leistung verwendet werden.“
a) Berücksichtigungsgebot, gem. § 120a Abs. 1 GWB-RefE
Die geplante Regelung übernimmt zum einen die bisherige bekannte und oben dargestellte Vorgabe zur Berücksichtigung sozialer und umweltbezogener Aspekte, § 120a Abs. 1 S. 1 GWB-RefE. Durch die „Soll“-Anordnung wird die Berücksichtigung dieser Aspekte im Rahmen des intendierten Ermessens zum Regelfall. Das heißt: Wer davon abweichen möchte, muss dies begründen. Den typischen Anwendungsfall stellt der Entwurf so vor, dass Auftraggeber diese Aspekte bei der Planung des Vergabeverfahrens im Rahmen der Erstellung der Leistungsbeschreibung, § 120a Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GWB-RefE berücksichtigen. Kann dies auf dieser Stufe nicht hinreichend berücksichtigt werden, soll diese Berücksichtigung „im Einzelfall“ auf anderen Stufen des Vergabeverfahrens gem. § 120a Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GWB-RefE erfolgen. Die Formulierung „im Einzelfall“ macht hier deutlich, dass der Gesetzgeber den vorrangigen Anwendungsbereich für die Berücksichtigung dieser Aspekte bei der Ausgestaltung der Vergabeunterlagen in Form der Leistungsbeschreibung sieht; andere Möglichkeiten iSd. Alt. 2 sollen dagegen nur im Ausnahmefall in Betracht gezogen werden.
Anwendungsbereich der atypischen Berücksichtigung, gem. § 120a Abs. 1 S. 2. Alt. 2 GWB-RefE?
Fraglich ist, was “andere Stufen des Vergabeverfahrens” sind. Wenn soziale und umweltbezogene Aspekte nicht bei Abfassung der Leistungsbeschreibung berücksichtigt werden können, sollen sie auf diese anderen Stufen berücksichtigt werden, allerdings nur „soweit im Einzelfall mit Blick auf den Auftragsgegenstand geeigneter”. Diese Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsaspekte gem. § 120a Abs. 1. S. 2 Alt. 2 GWB-RefE kann auch nicht auf der Ebene der Zuschlags- oder Ausführungsbedingungen erfolgen, was durch zusätzliche Einfügungen in § 127 Abs. 1 S. 4 bzw. § 128 Abs. 2 S. 3 GWB-RefE klar gemacht wird („Vorbehaltlich der in § 120a geregelten Vorgaben…“). Es nur Vermutungen angestellt werden, worin konkret eine Berücksichtigung gem. § 120a Abs. 1 S. 2 Alt. 2 bestehen könnte, wenn diese Aspekte nicht bereits auf Ebene der Leistungsbeschreibung unterkommen können. Reicht es hier bereits aus, wenn die Ermittlung des Beschaffungsbedarf unter Verwendung reparaturfreundlicher Analyseinstrument erfolgt, gem. § 120a Abs. 2 Alt. 9 GWB-RefE – falls sich dies im Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand eignet? Genügt es, wenn bei der Erstellung und Veröffentlichung der Bekanntmachung Langzeitarbeitslose eingebunden werden gem. § 120a Abs. 3 Alt. 2 GWB-RefE? Auch der Entwurf enthält hierzu keine greifbaren Beispiele („Dienstleistungen ohne Umweltrelevanz“, Referentenentwurf, Entwurf eines Gesetzes zur Transformation des Vergaberechts, 30.09.2024, S. 74).
Insgesamt ist die Berücksichtigung jedoch nur dann vergaberechtskonform, wenn sie zum einen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung steht (Grundsatz der Konnexität) und zu dessen Wert und den konkreten Beschaffungszielen verhältnismäßig ist, § 120a Abs. 1 S. 3 GWB-RefE, was wohl viele der abwegigeren Ideen ausschließen wird.
Die umweltbezogenen Nachhaltigkeitskriterien – § 120a Abs. 2 GWB-RefE
Gem. § 120a Abs. 2 GWB-RefE ist ein Kriterium dann umweltbezogen, wenn der Beschaffungsgegenstand
„klimaschonend, biodiversitätsfördernd, rohstoffschonend, energiesparend, wassersparend, schadstoffarm, abfallarm, langlebig, reparaturfreundlich, wiederverwendbar, recyclingfähig, unter Einsatz von Abfällen oder Rezyklaten oder aus nachwachsenden Rohstoffen oder möglichst gut geeignet zur umweltverträglichen Abfallbewirtschaftung hergestellt, erbracht oder ausgeführt“
wurde. Aktuell erscheint diese Liste mit 14 (!) Kriterien als sehr ausführlich, wobei viele davon bereits jetzt ausfüllungsbedürftig daherkommen (wann liegt eine ausreichende „Schonung“ von Rohstoffen vor?). Im Sinne einer anwendungsorientierten Praxis ist zu hoffen, dass der Gesetzgeber an dieser Stelle noch nachschärft und sich auf weniger, dafür inhaltlich abgrenzbarere Kriterien beschränkt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass ein so breit gefächertes Kriterium zur „Grabbelkiste“ verkommt, bei dem für jeden etwas dabei ist.
Die sozialen Nachhaltigkeitskriterien – § 120a Abs. 3 GWB-RefE
Die in § 120a Abs. 3 GWB-RefE aufgeführten sozialen Kriterien
„fairen Arbeits- und Handelsbedingungen, unter Ermöglichung der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen, Benachteiligten oder Menschen mit Behinderungen, unter Förderung der Gleichstellung von Geschlechtern, ethnischen Gruppen, Benachteiligten oder Menschen mit Behinderungen, unter Einsatz sozialer Innovationen, unter Beachtung der Menschen- und Arbeitnehmerrechte oder unter Beachtung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) entlang der globalen Wertschöpfungskette hergestellt, erbracht oder ausgeführt werden. Sozial ist ein Kriterium auch dann, wenn es darauf abzielt, dass zu beschaffende Waren, Bau- und Dienstleistungen Benachteiligten oder Menschen mit Behinderungen in besonderem Maße zugänglich sind.“
dagegen erscheinen besser gelungen; zumindest ergibt sich hier bei fast allen Kriterien ein konkreter Inhalt, auch durch die Definition gem. § 120a Abs. 3 S. 2 GWB-RefE. Der Entwurf stellt hierbei auch ausdrücklich klar, dass die mittlerweile in vielen Bundesländern eingeführten Tariftreueregelungen keine Erfüllung dieser zusätzlichen sozialen Vorgaben beinhalten, § 120a Abs. 3 S. 3 GWB-RefE. Warum diese bekannten Instrumente keine „sozial nachhaltige Beschaffung“ iSd. § 120a Abs. 3 GWB-RefE darstellen, verrät der Entwurf auch in der Begründung nicht (Referentenentwurf, Entwurf eines Gesetzes zur Transformation des Vergaberechts, 30.09.2024, S. 74); es kann daher nur vermutet werden, dass es dem Entwurfgeber hier speziell ankommt, soziale Aspekte zu bedienen, welche seiner Auffassung nach nicht von einer tarifgerechten Entlohnung profitieren, so wie die Förderung von Gleichstellung, Inklusion oder einer „fairen“ globalen Wertschöpfung.
Zwingende Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien bei „besonders geeigneten“ Beschaffungsgegenständen – § 120a Abs. 4, 5 Nr. 1, 2 GWB-RefE und AVV SU-NB-RefE
Ohne jede Möglichkeit zur Abweichung muss bei der Beschaffung von Waren, Bau- und Dienstleistungen nach § 120a Abs. 4 GWB-RefE mindestens ein umweltbezogenes oder soziales Kriterium berücksichtigt werden, falls diese Leistung Bestandteil einer durch die Bundesregierung erlassenen Verwaltungsvorschrift ist, § 120a Abs. 5, Nr. 1, 2 GWB-RefE. Auch für diese „AVV Sozial und umweltbezogen nachhaltige Beschaffung“ genannte Verwaltungsvorschrift liegt mit Stand vom 18. Oktober 2024 ein entsprechender Referentenentwurf vor (Referentenentwurf AVV Sozial und umweltbezogen nachhaltige Beschaffung, https://kurzlinks.de/mrtl, zuletzt abgerufen am 24.10.2024).
In § 2 AVV SU-NB-RefE werden Leistungen aufgeführt, welche eine „besondere Eignung“ für eine umweltbezogene nachhaltige Beschaffung iSd. § 120a Abs. 5 Nr. 1 GWB-RefE aufweisen, worunter nach Auffassung der Bundesregierung eine ganze Reihe von Gegenständen des (büro-)alltäglichen Bedarfs gehören, so wie IT-Hardware, Papierbedarf, Hygieneartikel, Arbeitsschuhe, etc. Bei diesen Leistungen ist nach Auffassung der Bundesregierung „davon auszugehen, dass sowohl hinreichend etablierte, für die Praxis hilfreiche Anforderungen und Standards für eine sozial und umweltbezogen nachhaltige Beschaffung vorliegen“, wodurch sich also der besondere Beschaffungsaufwand reduzieren dürfte (Referentenentwurf AVV Sozial und umweltbezogen nachhaltige Beschaffung, https://kurzlinks.de/mrtl, zuletzt abgerufen am 24.10.2024, S. 9).
Das Gleiche gilt für Leistungen, welche gem. § 120a Abs. 5 Nr. 2 GWB-RefE für eine sozial nachhaltige Beschaffung besonders geeignet sollen, wozu scheinbar vor allem Lebensmittel aus südlichen Anbaugebieten zählen gem. § 3 AVV SU-NB-RefE, so wie etwa Kaffee, Tee oder Bananen.
Verbotene Beschaffungsgegenstände, § 120a Abs. 5 Nr. 3 GWB-RefE
Im Entwurf vorgesehen ist auch eine „Schwarze Liste“, gem. § 120a Abs. 5 Nr. 3 GWB-RefE iVm § 4 AVV SU-NB-RefE – „Leistungen, die nicht beschafft werden dürfen“. Diese beinhaltet Beschaffungsgegenstände, welche nach Auffassung der Bundesregierung wohl einen so massiv negativen Effekt für die verfolgten Nachhaltigkeitsziele aufweisen – z.B. die berüchtigten „Gas-Heizpilze“, Baustoffe und technische Geräte mit halogenierten Betriebsmitteln oder auch Einwegverpackungen und ‑geschirr –, dass diese aus dem öffentlichen Beschaffungswesen verbannt werden sollen. Derartig breit angelegte ordnungspolitische Maßnahmen wie solche Negativlisten scheinen aktuell auf Ebene der Industriestaaten beispiellos zu sein; eventuell ziehen hier Frankreich und Italien nach einem Gipfeltreffen Anfang April 2024 – bei dem man sich verständigt hatte, das „Potenzial“ des Beschaffungswegen zur Erfüllung von Nachhaltigkeitsvergabekriterien „auszuschöpfen“ – noch nach (Gemeinsame Pressemitteilung, Le Maire/Habeck/Urso, 08.04.2024, https://kurzlinks.de/e4ra, zuletzt abgerufen am 31.10.2024). In den USA wiederum hat man sich bei der letzten Reform gegen eine solche „harte“ Verbotspolitik bezüglich der Nachhaltigkeitsaspekte entschieden und stattdessen auf eine „weiche“ Priorisierung durch „Purchasing Recommendations“ gesetzt (Pressemitteilung, Biden/Harris, 19.04.2024, https://kurzlinks.de/6b51, zuletzt abgerufen am 31.10.2024; ein ganz anderer Ton hingegen wird von den USA bei protektionistischen Vergabevorschriften angeschlagen – zuletzt etwa mit der Verschärfung der „Buy-American“-Gesetze, auch unter Pres. Biden, s. IHK Hannover, „Weißes Haus verkündet strengere Buy-American-Regeln“, Beitrag vom 05.12.2022, https://kurzlinks.de/wwfg, zuletzt abgerufen am 05.11.2024).
Nachhaltigkeit bei der Markterkundung
Ebenfalls sollen die Regelungen zur Durchführung der Markterkundung geändert werden. Auch diese werden um ein intendiertes Ermessen zur Berücksichtigung der angesprochenen Aspekte modifiziert: Nach § 28 Abs. 2 S. 2 VgV-RefE soll die Markterkundung „umweltbezogene, soziale und innovative Aspekte der Nachhaltigkeit“ umfassen und „vornehmlich digital durchgeführt werden“. Für die umweltbezogenen und sozialen Aspekte ist auf die bereits genannten Kategorien des § 120a Abs. 2 und 3 GWB-RefE zurückzugreifen; „innovative“ Aspekte umfassen nach der Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 Nr. 22 RL 2014/24 die „Realisierung neuer oder deutlich verbesserter Waren, Dienstleistungen oder Verfahren“. Ob diese drei Aspekte bei einer Markterkundung im Regelfall wirklich kumuliert erörtert werden müssen („und“) und wie diese modifizierte Erkundung dem Entwurf nach in der Praxis vergaberechtskonform umzusetzen ist, bleibt fraglich.
Fazit
Man kann es begrüßenswert finden, dass die Bundesregierung konkrete Schritte zu mehr Nachhaltigkeit in der Vergabe ergreift. Das erklärte Ziel ist, dass der Staat bei einer nachhaltigen Beschaffung „mit gutem Beispiel“ vorangeht, um durch verbindliche Vorgaben mehr „Planungs- und Investitionssicherheit“ für spezialisierte Anbieter zu schaffen und so zur Schaffung „grüner Leitmärkte“ beitragen möchte (Referentenentwurf, Entwurf eines Gesetzes zur Transformation des Vergaberechts, 30.09.2024, S. 1 f.). Der Entwurf dient vor allem auch zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung und soll durch den Austausch von „Kann“- mit „Soll“-Bestimmungen und die Aufnahme der Negativliste in § 120a Abs. 5 Nr. 3 GWB-RefE den „Anteil nachhaltiger Vergaben…deutlich“ erhöhen (Referentenentwurf, Entwurf eines Gesetzes zur Transformation des Vergaberechts, 30.09.2024, S. 40).
Fraglich ist jedoch, ob die vorgestellten, zuweilen sehr kleinteiligen Maßnahmen den großen Herausforderungen der „sozial-ökologischen“ Transformation unserer Gesellschaft gerecht werden. Es bleibt tatsächlich etwas an den ökologischen und sozialen Rahmenbedingungen unserer Wirtschaft ändert oder bloß zu einem höheren bürokratischen Aufwand ohne echten Mehrwert führt. Sicherlich können die zahlreichen konkreten Vorgaben auch Anhaltspunkte zur Umsetzung nachhaltiger Kriterien für diejenigen Vergabestellen liefern, welche bislang aufgrund der Dimension des Themas eher vorsichtig waren; andererseits ist fraglich, ob die zusätzliche Belastung für die Ämter bei der „nachhaltigen“ Gestaltung der Vergabeunterlagen so geräuschlos umsetzbar ist. Kritisch zu sehen ist auch die Annahme der Bundesregierung, dass solche Elemente wie die Negativliste gem. § 120a Abs. 5 Nr. 3 GWB-RefE in Form der AVV Klima „entsprechend in der Praxis erprobt“ seien und deswegen als unproblematisch angesehen werden. Diese Annahme mag vielleicht für die tendenziell eher größeren Bundesbehörden richtig sein; ob dies auch für die mittleren und kleinen Vergabestellen auf Landes- oder kommunaler Ebene gut zu handhaben ist, bleibt ungewiss.