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Vor­zei­ti­ge Zuschlags­er­tei­lung nur im Aus­nah­me­fall 

Die Ver­ga­be­kam­mer Thü­rin­gen hat am 13. August 2024 mit Beschluss ent­schie­den, dass die vor­zei­ti­ge Gestat­tung des Zuschlags nach § 169 Abs. 2 GWB nur in eng begrenz­ten Aus­nah­me­fäl­len in Betracht kommt. Dring­lich­keit, die auf man­geln­der Zeit­pla­nung des Auf­trag­ge­bers beruht, genügt nicht – selbst dann nicht, wenn Belan­ge der Daseins­vor­sor­ge berührt sind.

 § 169 Abs. 2 GWB: Vor­zei­ti­ge Zuschlags­er­tei­lung bleibt die Aus­nah­me 

Die Ver­ga­be­kam­mer Thü­rin­gen hat den Antrag auf vor­zei­ti­ge Zuschlags­er­tei­lung abge­lehnt. Maß­geb­lich ist ihre stren­ge Abwä­gung: Der gesetz­li­che Pri­mär­rechts­schutz darf nur in beson­de­ren Aus­nah­me­fäl­len durch­bro­chen wer­den. Eine Eil­be­dürf­tig­keit, die aus eige­ner, knap­per Ter­mi­nie­rung erwächst, genügt nicht – auch dann nicht, wenn der Auf­trag der Daseins­vor­sor­ge dient. 

Hin­ter­grund und Sach­ver­halt

Der Land­kreis hat­te die flä­chen­de­cken­de Ein­füh­rung der Bio­ton­ne zum 01.01.2025 beschlos­sen. Die beauf­trag­te Gesell­schaft ten­der­te euro­pa­weit in zwei Losen: Los 1 (streit­ge­gen­ständ­lich) die Lie­fe­rung der Behäl­ter inklu­si­ve Trans­pon­der­ein­bau, Los 2 die Ver­tei­lung. Die Bedarfs­er­mitt­lung lief früh; Haus­hal­te wur­den 2022/23 abge­fragt, bei Nicht­re­ak­ti­on galt eine 80-Liter-Ton­ne als Stan­dard. Bereits 2023 war die Ver­wer­tung des Bio­ab­falls ver­ge­ben (Start 01.01.2025). Die Aus­schrei­bung zur Lie­fe­rung ver­öf­fent­lich­te die Auf­trag­ge­be­rin am 16.04.2024 (Ange­bots­frist 24.05.2024). Nach Vor­ab­in­for­ma­ti­ons­schrei­ben vom 20.06.2024 erhob die Zweit­plat­zier­te am 03.07.2024 Nach­prü­fungs­an­trag. Die Auf­trag­ge­be­rin bean­trag­te am 26.07.2024 die Vor­ab­ge­stat­tung und ver­wies auf die dro­hen­de Ver­zö­ge­rung des Roll-outs (Lie­fe­rung bis KW 40, anschlie­ßen­de Auf­stel­lung), auf min­des­tens sechs Wochen Pro­duk­ti­ons- und Ein­bau­vor­lauf, auf auf­sichts­recht­li­chen Druck (Ersatz­vor­nah­me) sowie mög­li­che Scha­dens­er­satz­an­sprü­che des bereits beauf­trag­ten Ver­wer­tungs­un­ter­neh­mens. 

Die Ent­schei­dung

Der Antrag ist zuläs­sig, aber unbe­grün­det. § 169 Abs. 2 GWB eröff­net die Vor­ab­ge­stat­tung nur, wenn das Inter­es­se an sofor­ti­gem Ver­trags­schluss das Inter­es­se an der ord­nungs­ge­mä­ßen Durch­füh­rung des Nach­prü­fungs­ver­fah­rens deut­lich über­wiegt. Dies setzt eine außer­ge­wöhn­li­che, nicht selbst ver­ur­sach­te Dring­lich­keit vor­aus. Dar­an fehlt es. Zwi­schen Bekannt­ma­chung (16.04.2024) und geplan­tem Ver­trags­be­ginn (20.08.2024) lagen rund vier Mona­te – ohne rea­lis­ti­schen Puf­fer für die abseh­ba­re Rechts­ver­fol­gung (fünf Wochen Ver­ga­be­kam­mer plus zwei Wochen Beschwer­de). Dass die Kam­mer spä­ter ihre Ent­schei­dungs­frist ver­län­ger­te, trägt den Antrag nicht: Schon bei Ent­schei­dung inner­halb der Grund­fris­ten wäre der Ter­min­plan zu eng gewe­sen. Zusätz­lich wiegt die zeit­li­che Asyn­chro­ni­tät schwer: Wäh­rend die Ver­wer­tung bereits 2023 aus­ge­schrie­ben und bezu­schlagt wur­de, erfolg­te die Aus­schrei­bung der Erst­be­schaf­fung erst im April 2024, obwohl die Bedarfs­zah­len spä­tes­tens seit 31.01.2023 vor­la­gen. Der dar­aus resul­tie­ren­de Zeit­druck ist damit haus­ge­macht. 

Die Beru­fung auf Daseins­vor­sor­ge ver­schiebt die Abwä­gung nicht ent­schei­dend. Inte­rims­mo­del­le sind bei Lie­fer­auf­trä­gen zwar kaum taug­lich, doch der 01.01.2025 ist kein ver­ga­be­recht­li­ches Fix­ge­schäft: Eine spä­te­re Lie­fe­rung ent­wer­tet den Beschaf­fungs­zweck nicht, sie ver­zö­gert ihn nur. Auch die gel­tend gemach­ten Risi­ken – Ersatz­vor­nah­me, Scha­dens­er­satz – sind nicht hin­rei­chend sub­stan­ti­iert; außer­ge­wöhn­lich hohe, unver­meid­ba­re Belas­tun­gen sind weder belegt noch ersicht­lich. Bemer­kens­wert ist, dass die Kam­mer den Nach­prü­fungs­an­trag in der Sache eher für unbe­grün­det hält (Gleich­wer­tig­keits­nach­weis). Allein das recht­fer­tigt die Gestat­tung jedoch nicht; es bedarf zusätz­lich eines beson­de­ren, nicht selbst her­bei­ge­führ­ten Beschleu­ni­gungs­in­ter­es­ses. 

Fazit

§ 169 Abs. 2 GWB ist ein Not­in­stru­ment, kein Mit­tel zur Ret­tung ambi­tio­nier­ter Ter­min­plä­ne. Wer poli­tisch gesetz­te Start­punk­te ernst­haft absi­chern will, muss Ver­fah­ren syn­chro­ni­sie­ren, belast­ba­re Zeit­puf­fer ein­pla­nen und – falls eine Vor­ab­ge­stat­tung über­haupt erwo­gen wird – kon­kre­te Gemein­wohl­be­lan­ge und Risi­ken quan­ti­fi­ziert dar­le­gen. Andern­falls bleibt es beim Pri­mär­rechts­schutz – und der Zuschlag muss war­ten. 

Hin­wei­se für Auf­trag­ge­ber und Bie­ter 

Was Auf­trag­ge­ber aus der Ent­schei­dung mit­neh­men kön­nen 

  • Asyn­chro­ni­tät der Ver­fah­rens­schrit­te: Getrenn­te Tak­tung ohne trag­fä­hi­ge Begrün­dung kann als selbst ver­schul­de­ter Zeit­druck gewer­tet wer­den und erschwert die Inter­es­sen­ab­wä­gung zuguns­ten einer Vor­ab­ge­stat­tung. 
  • Daseins­vor­sor­ge ohne Fix­ge­schäft: Auch bei Auf­ga­ben der Daseins­vor­sor­ge kann eine spä­te­re Leis­tungs­er­brin­gung den Beschaf­fungs­zweck wei­ter­hin erfül­len; fehlt ein ech­tes Fix­ge­schäft, über­wiegt das Beschleu­ni­gungs­in­ter­es­se regel­mä­ßig nicht. 
  • Sub­stan­ti­ie­rungs­er­for­der­nis: Hin­wei­se auf Ersatz­vor­nah­me oder Scha­dens­er­satz müs­sen mit quan­ti­fi­zier­ten Risi­ken und Bele­gen unter­legt sein; abs­trak­ter „auf­sichts­recht­li­cher Druck“ ist nicht aus­rei­chend, um den Pri­mär­rechts­schutz zu durch­bre­chen. 

Was Bie­ter aus der Ent­schei­dung mit­neh­men kön­nen  

  • Selbst­ver­ur­sach­te Dring­lich­keit adres­sie­ren: Feh­len­de Puf­fer, spä­te Aus­schrei­bung oder unplau­si­ble Ter­mi­nie­rung kön­nen als haus­ge­mach­te Eile gewer­tet wer­den und spre­chen gegen eine Vor­ab­ge­stat­tung. 
  • Kein Fix­ge­schäft beto­nen: Ist die Leis­tung auch bei spä­te­rer Durch­füh­rung sinn­voll, spricht dies für den Vor­rang des Pri­mär­rechts­schut­zes; der Ver­weis auf Daseins­vor­sor­ge allein genügt nicht. 
  • Bele­ge ein­for­dern / Erfolgs­aus­sich­ten rela­ti­vie­ren: Für die Gestat­tung müs­sen außer­ge­wöhn­li­che Gemein­wohl­be­lan­ge kon­kret und quan­ti­fi­ziert dar­ge­legt sein; gerin­ge Erfolgs­aus­sich­ten der Nach­prü­fung allein recht­fer­ti­gen die Vor­ab­ge­stat­tung nicht. 
Hin­weis: Die­ser Rechts­tipp ersetzt kei­nen anwalt­li­chen Rat im Ein­zel­fall. Er ist natur­ge­mäß unvoll­stän­dig, auch ist er nicht auf Ihren Fall bezo­gen und stellt zudem eine Moment­auf­nah­me dar, da sich gesetz­li­che Grund­la­gen und Recht­spre­chung im Lauf der Zeit ändern. Er kann und will nicht alle denk­ba­ren Kon­stel­la­tio­nen abde­cken, dient Unter­hal­tungs- und Erst­ori­en­tie­rungs­zwe­cken und soll Sie zur früh­zei­ti­gen Abklä­rung von Rechts­fra­gen moti­vie­ren, nicht aber davon abhal­ten. aban­te Rechts­an­wäl­te war nicht am Ver­fah­ren betei­ligt und hat kei­ne Par­tei im Streit­ver­fah­ren ver­tre­ten.

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