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Kei­ne Maß­an­fer­ti­gung für Bie­ter

Unser Rechts­an­walt und Part­ner Chris­ti­an Wie­re hat sich am 18. Juli  2025  in einem aban­te live zum Ver­ga­be­recht mit dem Beschluss der Ver­ga­be­kam­mer Ber­lin vom 29. Novem­ber 2024 (Az.: VK B 1–13/24) befasst. 

Die Ver­ga­be­kam­mer Ber­lin ent­schied am 29. Novem­ber 2024 mit Beschluss, dass der öffent­li­che Auf­trag­ge­ber im Rah­men sei­nes Leis­tungs­be­stim­mungs­rechts nicht an den Inhalt einer zuvor durch­ge­führ­ten Markt­er­kun­dung gebun­den ist, weder ver­pflich­tet ist, eine Markt­er­kun­dung durch­zu­füh­ren, noch die Aus­schrei­bung so zuzu­schnei­den, dass sie zum Unternehmens‑ oder Betriebs­kon­zept eines der mög­li­chen Bie­ter passt. 

Unser Video zur Urteils­be­spre­chung: 

Sach­ver­halt 

Eine Uni­ver­si­täts­kli­nik des Lan­des Ber­lin schrieb mit EU-wei­tem Ver­fah­ren (Bekannt­ma­chung S 56/2024 vom 19. März 2024) die Lie­fe­rung und Inte­gra­ti­on eines hoch­in­te­grier­ten Krankenhaus­informations­systems (KIS) aus. In den Ver­ga­be­un­ter­la­gen wur­den umfang­rei­che Muss‑ und Kann‑Kriterien (663 bzw. 984), elf kon­zep­tio­nel­le Unter­kri­te­ri­en, zehn Use‑Cases zur Pro­dukt­de­mons­tra­ti­on und ein Rei­fe­grad­nach­weis ver­langt; Preis (20 %) und Leis­tung (80 %) bil­de­ten die Zuschlags­kriterien. 

Bereits im Vor­feld hat­te die Kli­nik eine Markt­er­kun­dung durch­ge­führt, deren Ergeb­nis­se sie jedoch nicht als bin­dend ansah. Mit der Auf­for­de­rung zur Angebots­abgabe vom 6. Mai 2024 erhielt jeder Bie­ter Gele­gen­heit, Erläu­te­run­gen zu den Muss‑ und Kann‑Kriterien abzu­ge­ben und die Kri­te­ri­en­ba­sis im wei­te­ren Verhandlungs­verfahren anzu­pas­sen. 

Die Antrag­stel­le­rin bean­stan­de­te das Feh­len bestimm­ter Modu­le (Abrech­nung, Kodie­rung, Qua­li­täts­si­che­rung), die Intrans­pa­renz der Leis­tungs­be­schrei­bung und Zuschlags­kriterien sowie unglei­che Informations­zugänge. Sie rüg­te fer­ner ein ver­meintlich pro­dukt­spe­zi­fi­sches Leis­tungs­bild und die Umwand­lung von Muss‑ in Kann‑Kriterien. Nach­dem ihre Beden­ken von der Antrags­geg­ne­rin mehr­fach zurück­ge­wie­sen wor­den waren, erhob sie Nachprüfungs­klage. 

Kern­punk­te der Ent­schei­dung  

Leis­tungs­be­stim­mungs­recht nicht an Markt­er­kun­dung gebun­den 


Der Auf­trag­ge­ber muss weder eine Markt­er­kun­dung durch­füh­ren noch deren Ergeb­nis­se in der Aus­schrei­bung berück­sich­ti­gen (§ 6 VgV). 

Pro­dukt­neu­tra­li­tät und sach­li­che Leis­tungs­be­stim­mung 


Die Wahl der Modu­le (z. B. Aus­schluss von Abrech­nung, Ein­schluss von Patho­lo­gie, Zahn­me­di­zin) erfolgt im Rah­men des frei­en Leis­tungs­be­stim­mungs­rechts und ist sach­lich gerecht­fer­tigt; die Aus­schrei­bung muss nicht auf das Unter­neh­mens­kon­zept jedes Bie­ters zuge­schnit­ten sein. 

Kei­ne Pflicht zur Vorab‑Festlegung von Min­dest­an­for­de­run­gen 


„Muss“- und „Kann“-Kriterien müs­sen nicht bereits vor Ver­hand­lungs­run­den als Min­dest­an­for­de­run­gen aus­ge­wie­sen sein. Eine spä­te­re Umwand­lung zwi­schen Muss‑ und Kann‑Kriterien ist im Ver­hand­lungs­ver­fah­ren zuläs­sig (§ 58 VgV). 

Gewich­tung von Preis (20 %) und Leis­tung (80 %) im Beur­tei­lungs­spiel­raum 


Ins­be­son­de­re bei nicht stan­dar­di­sier­ten, hoch­in­te­grier­ten Leis­tun­gen ist eine hohe Qua­li­täts­ge­wich­tung ver­ga­be­recht­lich nicht zu bean­stan­den (BGH). 

Trans­pa­renz und Zeit­punkt der Zuschlagskriterien‑Veröffentlichung 


End­gül­ti­ge Zuschlags­kri­te­ri­en dür­fen erst­mals mit der Auf­for­de­rung zur Ange­bots­ab­ga­be bekannt gege­ben wer­den; ein nach­träg­li­ches Ver­hand­lungs­ver­bot über die sta­bi­len Zuschlags­kri­te­ri­en bestand nicht (§ 10 VgV, § 127 GWB). 

Tipps für öffent­li­che Auf­trag­ge­ber 

  • Regel­kon­for­me Ein­be­zie­hung rück­wir­ken­der Fördermittel­vorgaben: Ach­ten Sie dar­auf, dass ANBest‑I oder ver­gleich­ba­re Regel­wer­ke bei rück­wir­ken­der Bewil­li­gung unmiss­ver­ständ­lich gel­ten. 
  • Ver­ga­be­prü­fung und Anhö­rung doku­men­tie­ren: Füh­ren Sie alle Prüf- und Anhörungs­schritte in Text­form, um Fris­ten und Ver­fah­ren jeder­zeit nach­wei­sen zu kön­nen. 
  • Haus­halts­recht­li­che Grund­sät­ze wah­ren: Stel­len Sie sicher, dass auch bei För­der­ver­ga­ben der Grund­satz der Wirt­schaft­lich­keit und Spar­sam­keit beach­tet wird. 

Tipps für Bie­ter und Zuwen­dungs­emp­fän­ger 

  • Rück­wir­kung im Blick behal­ten: Selbst bei vor­über­ge­hen­dem Aus­stieg aus der För­de­rung kön­nen rück­wir­ken­de Bewil­li­gun­gen Ver­ga­be­re­geln aus­lö­sen. 
  • Ver­ga­be­rechts­kon­for­me Beauf­tra­gung: Ver­meint­lich „freie“ Direkt­ver­ga­ben kön­nen trotz Zuwen­dungs­pflicht zu Wider­ruf und Rück­for­de­run­gen füh­ren. 
  • Schrift­li­che Zustim­mung sichern: Ver­las­sen Sie sich nicht auf still­schwei­gen­de Annah­men – las­sen Sie sich jede Ver­ga­be­ent­schei­dung und Aus­nah­me­re­ge­lung aus­drück­lich bestä­ti­gen. 
  • Voll­stän­di­ge Ver­wen­dungs­nach­wei­se ein­rei­chen: Über­mit­teln Sie Nach­wei­se früh­zei­tig und kom­plett, um for­ma­le Feh­ler zu ver­mei­den. 
Hin­weis: Die­ser Rechts­tipp ersetzt kei­nen anwalt­li­chen Rat im Ein­zel­fall. Er ist natur­ge­mäß unvoll­stän­dig, auch ist er nicht auf Ihren Fall bezo­gen und stellt zudem eine Moment­auf­nah­me dar, da sich gesetz­li­che Grund­la­gen und Recht­spre­chung im Lauf der Zeit ändern. Er kann und will nicht alle denk­ba­ren Kon­stel­la­tio­nen abde­cken, dient Unter­hal­tungs- und Erst­ori­en­tie­rungs­zwe­cken und soll Sie zur früh­zei­ti­gen Abklä­rung von Rechts­fra­gen moti­vie­ren, nicht aber davon abhal­ten. aban­te Rechts­an­wäl­te war nicht am Ver­fah­ren betei­ligt und hat kei­ne Par­tei im Streit­ver­fah­ren ver­tre­ten.

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