Ist der Bieter oder Bewerber überzeugt, dass das Vergabeverfahren fehlerhaft durchgeführt wurde, so kann er – im Regelfall nach der Rügeerhebung, aber noch vor Zuschlagserteilung – durch die zuständige Vergabekammer ein Nachprüfungsverfahren einleiten lassen. Die Möglichkeit des Nachprüfungsverfahrens existiert vorwiegend im Oberschwellenbereich (in wenigen Bundesländern auch im Unterschwellenbereich) und ist in §§ 160ff. GWB geregelt.
Zuständigkeit
Die Vergabekammer entscheidet über Vergabeverfahren, deren Gegenstand ein öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 GWB oder eine Konzession i.S.d. § 105 GWB ist.
Öffentliche Aufträge i.S.d. § 103 Abs. 1 GWB sind „entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben.“
Konzessionen i.S.d. §105 GWB sind entgeltliche Verträge, bei denen Unternehmen von Konzessionsgebern entweder mit Bauleistungen beauftragt werden, wofür sie das Recht zur Nutzung des Bauwerks (ggf. zuzüglich einer Zahlung) als Gegenleistung erhalten, oder mit der Erbringung und der Verwaltung von Dienstleistungen, wofür sie das Recht zur Nutzung der Dienstleistung (ggf. zuzüglich einer Zahlung) als Gegenleistung erhalten.
Kein Zuschlag
Das Vergabeverfahren wird mit dem Zuschlag des Auftraggebers beendet. Der Zuschlag ist die Annahme eines Angebots, wodurch der Vertrag zwischen Auftraggeber und dem erfolgreichen Bieter zustande kommt. Im Oberschwellenbereich haben Auftraggeber eine Informations- und Wartepflicht nach § 134 Abs. 1 GWB. Das heißt, der öffentliche Auftraggeber teilt den erfolglosen Bietern vor der Zuschlagserteilung mit, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden wird, wann der frühestmögliche Zuschlagstermin ist, und wer den Zuschlag aus welchen Gründen erhalten soll. Ab der Übersendung dieser Mitteilung besteht eine 15-tägige Stillhaltefrist, in welcher der Zuschlag nicht erteilt werden darf. Sie kann auf 10 Tage verkürzt werden, wenn bestimmte Formvorgaben beachtet werden; regelmäßig wird die Frist verkürzt.
Ein Nachprüfungsverfahren kann erfolgreich nur vor Ablauf dieser Frist, also nur vor Zuschlagserteilung eingeleitet werden. Nur bei besonders schwerwiegenden Verstößen gegen die Vergabevorschriften (Missachtung der Informations- und Wartepflicht oder Zuschlagserteilung ohne die gebotene ex ante Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union) ist der geschlossene Vertrag nach § 135 Abs. 1 GWB unwirksam. Diese Unwirksamkeit kann aber nur in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt werden. Hierfür gelten die in § 135 Abs 2 GWB festgelegten Fristen. In den Fällen des § 135 Abs. 1 GWB ist also ausnahmsweise ein Nachprüfungsverfahren (in der Gestalt eines Nichtigkeitsfeststellungsverfahrens) nach Zuschlagserteilung möglich. Im Regelfall muss der Nachprüfungsantrag aber so rechtzeitig gestellt werden, dass er vor der Zuschlagserteilung zugestellt werden kann.
Form und Inhalt nach § 161 GWB
Der Antrag ist schriftlich einzureichen und zu begründen. Die Begründung muss die Bezeichnung des Antragsgegners, eine (möglichst konkrete) Beschreibung der behaupteten Rechtsverletzung und die Beweismittel (soweit vorhanden) enthalten. Darüber hinaus ist im Antrag darzulegen, dass die Rüge gegenüber dem Auftraggeber erfolgt ist.
Antragsgegner
Der Antragsgegner muss ein Auftraggeber i.S.d. § 98 GWB sein. Solche Auftraggeber sind öffentliche Auftraggeber nach § 99 GWB, Sektorenauftraggeber nach § 100 GWB und Konzessionsgeber nach § 101 GWB.
Ein öffentlicher Auftraggeber i.S.d. § 99 GWB ist eine Institution oder Einrichtung, die dem öffentlichen Sektor angehört, wie beispielsweise Gebietskörperschaften (Städte, Gemeinden, Länder), deren Sondervermögen und andere juristische Personen auch des Privatrechts, die im Allgemeininteresse liegende, nichtgewerbliche Aufgaben erfüllen.
Sektorenauftraggeber i.S.d. § 100 Abs. 1 GWB sind öffentliche Auftraggeber oder bestimmte natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die Sektorentätigkeiten im Bereich Wasser, Elektrizität, Gas und Wärme, Verkehr, Hafen und Flughäfen oder fossile Brennstoffe ausüben. (Sektorentätigkeiten spezifisch in § 102 GWB)
Konzessionsgeber i.S.d. § 101 Abs. 1 GWB sind öffentliche Auftraggeber, die eine Konzession i.S.d. § 105 I GWB vergeben. Konzessionsgeber sind außerdem Sektorenauftraggeber in den Bereichen Elektrizität, Gas und Wärme, Verkehr, Hafen und Flughäfen oder fossile Brennstoffe, die eine solche Konzession vergeben.
EU-Schwellenwert
Der vergaberechtliche Auftragswert muss den maßgeblichen EU-Schwellenwert i.S.d. § 106 GWB erreicht haben.
Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB
Antragsbefugt sind Bieter oder Bewerber, die ein Interesse am öffentlichen Auftrag oder der Konzession haben und einen Verstoß gegen Vergabevorschriften geltend macht, durch den sie in eigenen Rechten verletzt ist. Der Bieter oder Bewerber muss darlegen, dass durch den Verstoß ein Schaden eingetreten ist oder ein Schaden einzutreten droht.
Interesse: Das Unternehmen muss das unmittelbare Interesse haben, den Auftrag für sich selbst zu erhalten. Mit dem Einreichen eines fristgerechten Angebots ist das Interesse i.d.R. ausreichend dargelegt. Aber auch bei Nichteinreichung eines Angebots kann das Interesse bestehen. Sprechen Sie uns hierzu gerne an.
Drohende Rechtsverletzung bzw. Schaden: Es muss zumindest möglich erscheinen, dass das Unternehmen durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften in seinen Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt ist. Der Schaden muss sich auf die Zuschlagschancen des Bieters oder Bewerbers beziehen. Der Antragssteller muss plausibel darlegen, dass der gerügte Verstoß die Beachtung seines Angebots oder seiner Bewerbung im Rahmen der Zuschlagserteilung negativ beeinflusst. Hierfür genügt, dass ein Schadenseintritt nicht von vorneherein ausgeschlossen erscheint. Daraus folgt, dass der Bieter oder Bewerber schlüssig darlegen muss, dass er bei richtiger Anwendung der Vergabevorschriften zumindest die Möglichkeit der Zuschlagserteilung hat.
Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 Nr. 1–3 GWB: Der Bieter/Bewerber muss den vermuteten Verstoß vor dem Nachprüfungsverfahren beim Auftraggeber rügen. Das muss er innerhalb von 10 Tagen nach positiver Kenntnisnahme des Verstoßes tun. Ist der Verstoß aus der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen erkennbar, ist er bis zum Ende der Teilnahmeantrags- oder Angebotsfrist zu rügen. Die genauen Anforderungen ergeben sich aus § 160 Abs. 3 GWB und der hierzu ergangenen Rechtsprechung.
Für die Rüge gelten keine besonderen Formerfordernisse, wobei aus Beweis- und Dokumentationsgründen unbedingt eine schriftliche Rüge empfehlenswert ist. Unterlässt der Bieter oder Bewerber die vorherige Rüge, bleibt ihm die Nachprüfungsmöglichkeit meistens, keineswegs immer, verwehrt.
Rechtsfolge nach § 168 GWB
Die Vergabekammer gibt dem Antrag entweder ganz oder teilweise statt und trifft entsprechende Maßnahmen, um die Rechtsverletzung zu beseitigen (beispielsweise kann die Kammer anordnen, das Vergabeverfahren in einen vorherigen Zustand zurückzuversetzen), oder sie weist den Antrag zurück. Gegen die Entscheidung der Vergabekammer kann sofortige Beschwerde eingereicht werden.
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