Bieterschützende Rechte im Vergabeverfahren sind die Grundlage
Vergabeverfahren müssen rechtskonform durchgeführt werden. Im Vordergrund steht dabei die Beachtung bieterschützender Rechte. Längst nicht alle, allerdings die meisten vergaberechtlichen Normen räumen bieterschützende Rechte ein. Das heißt, diese Normen schützen den Wettbewerbs‑, Gleichbehandlungs- und Transparenzgrundsatz im Interesse von Teilnehmern und Interessenten am Vergabeverfahren.
Bieter und Bewerber dürfen danach im Wesentlichen verlangen,
- gleich behandelt zu werden bzw. nicht ohne rechtfertigen Grund ungleich behandelt zu werden,
- transparent informiert zu werden,
- alle Informationen zu erhalten, um ein zuschlagsfähiges, wirtschaftliches Angebot abgeben zu können,
- nicht mit übertriebenen, unangemessenen Anforderungen belastet zu werden.
Wer setzt das durch?
Die Europäische Union hat schon vor einiger Zeit erkannt, dass bieterschützende Rechte ohne Nachprüfungsmöglichkeit wenig wert sind. Sie verlangt deshalb von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, dass sie Vergabenachprüfungsverfahren vorsehen.
Geregelt ist dies in der Rechtsmittelrichtlinie; sie heißt in ihrer offiziellen Fassung „Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge (Amtsblatt der Europäischen Union vom 20. Dezember 2007 Nr. L 335, S. 31 ff.), einschließlich der vorgenannten geänderten Richtlinien“. Wir sprechen der Einfachheit halber von der „Rechtsmittelrichtlinie“.
Die Rechtsmittelrichtlinie wurde in Deutschland in §§ 155 ff. GWB umgesetzt. Nach § 155 GWB unterliegt die Vergabe öffentlicher Aufträge und von Konzessionen der Nachprüfung durch die Vergabekammern. Nach § 156 Abs. 1 GWB prüfen die Vergabekammern des Bundes die dem Bund zuzurechnenden öffentlichen Aufträge und Konzessionen, die Vergabekammern der Länder die diesen zuzurechnenden öffentlichen Aufträge und Konzessionen. Es gibt also Vergabekammern des Bundes und Vergabekammern der einzelnen Länder. Wir haben hierzu eine Liste für Sie zusammengestellt.
Ist eine Vergabekammer ein Gericht?
Die Antwort lautet Ja und Nein.
Die Vergabekammern üben ihre Tätigkeit im Rahmen der Gesetze unabhängig und in eigener Verantwortung aus, vgl. § 157 Abs. 1 GWB. Sie entscheiden mit einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern, wobei mindestens einer der Entscheider Volljurist sein muss, vgl. § 157 Abs. 2 GWB. Das spricht für den Gerichtscharakter.
Zugleich sind die Vergabekammern jedoch in den allgemeinen Behördenaufbau integriert. Ihre hauptamtlichen Mitglieder sind noch dazu Beamte und keine Richter.
Daher sind Vergabekammern keine Gerichte, aber sie sind gerichtsähnlich. Ihre Mitglieder sind in ihren Entscheidungen unabhängig und verhalten sich in aller Regel auch so. Ein Bieter oder Bewerber muss keine Angst haben, dass sein Antrag – weil er „nicht genehm“ ist – nicht bearbeitet werden wird. Seine Rechte sind – durch die Einrichtung unabhängiger Vergabekammern – auch institutionell gewahrt.
Wird jede Vergabe vor der Vergabekammer nachgeprüft?
Die Vergabekammer prüft keineswegs jede Vergabe nach. Dazu wäre sie gar nicht in der Lage, denn tagtäglich werden hunderte Vergabeverfahren durchgeführt. Sie wird vielmehr nur auf Antrag tätig, vgl. § 160 Abs. 1 GWB. Diesen Antrag kann ein Bieter oder Bewerber stellen, wenn er der Ansicht, seine Rechte seien missachtet worden.
Zugleich sind die Vergabekammern in Deutschland nicht für jede Vergabe zuständig, selbst wenn ein Bieter die Überprüfung dieser Vergabe beantragt. Denn die Rechtsmittelrichtlinie und die Umsetzungsbestimmungen in §§ 155 ff. GWB gelten nur für Oberschwellenvergaben. Das sind Vergabeverfahren für Aufträge, welche die EU-Schwellenwerte erreichen. Bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen normaler öffentlicher Auftraggeber ist dies derzeit (Stand 1.1.2024) z.B. 221.000 Euro netto. Bei Bauaufträgen derzeit 5,538 Mio. Euro. Das heißt, bei geringwertigeren Aufträgen wird die Vergabekammer erklären, unzuständig zu sein. Sie wird einen Nachprüfungsantrag, der sich auf solche geringwertigen Aufträge bezieht, als unzulässig verwerfen. Wobei zu beachten ist: Sehr oft kommt es nicht auf den Wert des eigenen Auftrags an, sondern auf den Wert des gesamten (Bau-/Dienstleistungs-)Vorhabens, sodass auch geringwertige Aufträge von ggf. nur wenigen zehntausend Euro vor der Vergabekammer landen.
Wie lauten die derzeit gültigen EU-Schwellenwerte
Die EU-Schwellenwerte werden für zwei Jahre festgelegt.
Die aktuellen Werte für 2024/25 finden Sie in unserer Übersicht.
Gibt es Nachprüfungsmöglichkeiten bei Unterschwellenaufträgen?
Wird der EU-Schwellenwert nicht erreicht, so stellt sich die Frage, ob und ggf. welchen Rechtsschutz es sonst noch gibt. Hier muss im Einzelfall genau geschaut werden. Manche Bundesländer (Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz) haben einen eigenen Unterschwellenrechtsschutz eingerichtet. Ähnlich den Vergabekammern prüfen hier spezialisierte Stellen Vergabeverfahren auf Antrag nach, und zwar vor der Zuschlagserteilung an ein Konkurrenzunternehmen, denn mit der Zuschlagserteilung ist der Auftrag in der Regel verloren. Sie tun dies häufig für sehr kleines Geld. Wenn eine solche Möglichkeit besteht, ist sie nicht nur, aber auch aus Kostengründen vorrangig zu wählen.
In den anderen Bundesländern und im Fall der Bundesverwaltung gibt es solche Unterschwellen-Vergabekammern, die vor der Zuschlagserteilung auf Antrag hin tätig werden, (noch) nicht. Hier bleibt immer noch die Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, und zwar im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Wir haben vor der Vergabekammer verloren. Wie geht es weiter?
Öffentliche Auftraggeber und Bieter und Bewerber, die „ihr“ Nachprüfungsverfahren verloren haben, können um Rechtsschutz vor der zweiten Instanz ersuchen. Das ist das jeweils zuständige Oberlandesgericht. Etwa ein Fünftel der Fälle vor der Vergabekammer werden vor dem Oberlandesgericht weitergeführt.
Wer möglicherweise noch vor der Vergabekammer sich selbst vertreten hat, sollte spätestens jetzt die Hilfe einer spezialisierten Kanzlei nachsuchen.
Welche Anforderungen muss der Nachprüfungsantrag erfüllen?
Es gibt viele Anforderungen an die erfolgreiche Vergabenachprüfung. Es muss sich um die Vergabe eines öffentlichen Auftraggebers und um einen öffentlichen Auftrag oder eine Konzession handeln. Die Vergabekammer muss zuständig sein, das heißt, der EU-Schwellenwert muss erreicht worden sein. Der Zuschlag darf noch nicht erteilt worden sein. In der Regel muss der Bieter oder Bewerber die Verletzung bieterschützender Rechte gerügt haben, um dem öffentlichen Auftraggeber die Chance zu geben, dieser Rechtsverletzung ohne Vergabekammer abzuhelfen.
Wie wir Ihnen helfen können
Sind Sie öffentlicher Auftraggeber oder Bieter bzw. Bewerber, so können wir Sie vor der Vergabekammer und dem OLG-Senat vertreten.
Für eine unverbindliche Anfrage kontaktieren Sie bitte direkt telefonisch oder per E‑Mail einen unserer Ansprechpartner oder nutzen Sie das Kontaktformular.
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