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Auf­bau eines Park­leit­sys­tems: Bau- oder Dienst­leis­tungs­auf­trag? – BayO­bLG zur Haupt­ge­gen­stands­be­stim­mung & Los­bil­dung 

Das Baye­ri­sche Obers­te Lan­des­ge­richt (BayO­bLG) ent­schied mit Beschluss vom 10. Sep­tem­ber 2025 (Az.: Verg 6/25) lehr­buch­ar­tig über grund­le­gen­de Fra­gen des Ver­ga­be­rechts: Wie wird der Haupt­ge­gen­stand eines gemisch­ten Auf­trags ermit­telt, und wann darf von der Fach­los­ver­ga­be abge­se­hen wer­den? Die Ent­schei­dung zeigt, dass der Wert­an­teil der Bau­leis­tun­gen nur eine Ori­en­tie­rungs­funk­ti­on hat und nicht allein über die Ver­fah­rens­art ent­schei­det. 

Unser Video zur Urteils­be­spre­chung:

Sach­ver­halt: Die Ein­ord­nung eines Park­leit­sys­tems 

Gegen­stand der Aus­schrei­bung war die Beschaf­fung und Instal­la­ti­on eines Park­leit­sys­tems für neun Park­plät­ze und zwei Park­häu­ser. Das Sys­tem soll­te Park­such­ver­keh­re redu­zie­ren, indem es freie Kapa­zi­tä­ten, ins­be­son­de­re auch für spe­zi­fi­sche Fahr­zeug­ar­ten (z.B. Wohn­mo­bi­le), anzeig­te. 

Die Ver­ga­be erfolg­te zunächst natio­nal nach VOB/A und wur­de als „Bau­maß­nah­me“ mit einem geschätz­ten Auf­trags­wert von 1,39 Mil­lio­nen Euro bezeich­net. Das Leis­tungs­ver­zeich­nis ent­hielt die Titel „Tief­bau“ und „Anzei­ge­ele­men­te und Steue­rung“. Als Zuschlags­kri­te­ri­en wur­den neben dem Preis (70 %) auch das Kon­zept (20 %) und der Ener­gie­ver­brauch (10 %) fest­ge­legt. Das Kon­zept zur Detek­ti­ons­ge­nau­ig­keit muss­te eine Min­dest­punkt­zahl errei­chen, um nicht aus­ge­schlos­sen zu wer­den. 

Ein Bie­ter, spe­zia­li­siert auf Elek­tro-Ver­le­ge­sys­te­me, rüg­te die Aus­schrei­bung. Er ver­trat die Ansicht, dass es sich um einen Lie­fer- und Dienst­leis­tungs­auf­trag hand­le und wegen Über­schrei­tung des ent­spre­chen­den EU-Schwel­len­werts euro­pa­weit hät­te aus­ge­schrie­ben wer­den müs­sen. Des Wei­te­ren rüg­te er die unter­blie­be­ne Losauf­tei­lung der Tief­bau­leis­tun­gen. Die Ver­ga­be­kam­mer Nord­bay­ern lehn­te den Antrag ab, da der Wert­an­teil der Bau­leis­tun­gen (ca. 40–49 % des Gesamt­werts) den Schwer­punkt set­ze. 

Kern­punkt der Ent­schei­dung: Der wah­re Haupt­ge­gen­stand liegt in der Funk­ti­on 

Das BayO­bLG hob den Beschluss der Ver­ga­be­kam­mer auf und gab der Antrag­stel­le­rin Recht. Es stell­te fest, dass der Auf­trag­ge­ber den Auf­trag euro­pa­weit aus­schrei­ben und in Lose auf­tei­len muss. 

1. Qua­li­fi­zie­rung des Auf­trags: Funk­ti­on geht vor Wert 

Bei einem gemisch­ten Auf­trag (Bau- sowie Lie­fer- und Dienst­leis­tun­gen) ist der Haupt­ge­gen­stand anhand der recht­li­chen und wirt­schaft­li­chen Gesamt­um­stän­de zu ermit­teln. 

  • Rol­le der Wert­an­tei­le: Der Wert der Bau­leis­tun­gen (hier ca. 40–49 %) hat nur eine Ori­en­tie­rungs- und Kon­troll­funk­ti­on. Es exis­tie­ren kei­ne fes­ten Wert­gren­zen
  • Schwer­punkt liegt in der Dienst­leis­tung: Das Gericht sah den Schwer­punkt bei den Lie­fer- und Dienst­leis­tun­gen. Der Ver­trag wur­de geprägt durch die Kon­zep­ti­on und Errich­tung des Park­leit­sys­tems, nicht durch die erfor­der­li­chen Bau­leis­tun­gen. 
  • Aus­schlag­ge­bend ist der Zweck: Der Zweck des Auf­trags lag in der Opti­mie­rung der Nut­zung der bereits bestehen­den Park­plät­ze und in der Regu­lie­rung des Ver­kehrs, nicht im bau­li­chen Ein­griff. 
  • Indi­ka­tor Zuschlags­kri­te­ri­um: Die her­aus­ra­gen­de Bedeu­tung des Kri­te­ri­ums „Kon­zept“ (Detek­ti­ons­ge­nau­ig­keit und Auf­wand zur Nach­ka­li­brie­rung) zeig­te, dass die tech­ni­schen Lösun­gen zur Daten­er­fas­sung und nicht die Tief­bau­ar­bei­ten der prä­gen­de Teil des Auf­trags waren. 

2. Ver­stoß gegen das Gebot der Los­ver­ga­be 

Der Auf­trag­ge­ber ver­stieß gegen § 97 Abs. 4 Satz 2 und 3 GWB. 

  • Los­ver­ga­be als Regel­fall: Da für die Tief­bau- und die Park­leit­sys­tem-Leis­tun­gen ein eige­ner Markt besteht, war die Fach­los­bil­dung grund­sätz­lich gebo­ten. 
  • Kei­ne hin­rei­chen­de Doku­men­ta­ti­on: Die Aus­nah­me vom Grund­satz der Los­ver­ga­be (Gesamt­ver­ga­be) muss durch eine umfas­sen­de Abwä­gung der wider­strei­ten­den Belan­ge gerecht­fer­tigt sein, wobei die Grün­de für die Gesamt­ver­ga­be über­wie­gen müs­sen. Der AG hat­te sei­ne Erwä­gun­gen bis zur Bekannt­ma­chung nicht doku­men­tiert, was bereits einen Feh­ler dar­stellt. 
  • Unzu­rei­chen­de Begrün­dung: Der all­ge­mein ver­bun­de­ne Koor­di­nie­rungs­auf­wand, ein poten­zi­el­les Kos­ten­ri­si­ko oder die Gefahr einer zeit­li­chen Ver­zö­ge­rung kön­nen eine Gesamt­ver­ga­be für sich allein nicht recht­fer­ti­gen. 

Tipps für öffent­li­che Auf­trag­ge­ber: Schwer­punkt und Abwä­gung 

Die Ent­schei­dung ist ein star­kes Signal, dass die for­ma­le Bezeich­nung eines Auf­trags oder der rei­ne Wert­an­teil einer Leis­tung nicht über die anzu­wen­den­den Ver­ga­be­vor­schrif­ten ent­schei­den. 

  • Qua­li­ta­ti­ve Gesamt­be­trach­tung: Bei gemisch­ten Auf­trä­gen ist der funk­tio­na­le Zweck des Vor­ha­bens ent­schei­dend. Fra­gen Sie sich: Was ist die ver­trags­prä­gen­de Ver­pflich­tung? Geht es um die Errich­tung eines Bau­werks (Bau­auf­trag) oder um die Inte­gra­ti­on einer kom­ple­xen tech­ni­schen Lösung zur Opti­mie­rung (Lie­fer-/Dienst­leis­tungs­auf­trag)? 
  • Los­ver­ga­be als Grund­satz: Die los­wei­se Ver­ga­be ist der Regel­fall. Eine Gesamt­ver­ga­be ist nur bei zwin­gen­den wirt­schaft­li­chen oder tech­ni­schen Grün­den zuläs­sig, die eine umfas­sen­de Abwä­gung erfor­dern und die Grün­de klar über­wie­gen las­sen. 
  • Aus­schluss von Stan­dard­grün­den: Typi­sche Risi­ken wie ein erhöh­ter Koor­di­nie­rungs­auf­wand, Gewähr­leis­tungs­fra­gen, all­ge­mei­nes Kos­ten­ri­si­ko oder leich­te Zeit­ver­zö­ge­run­gen recht­fer­ti­gen eine Gesamt­ver­ga­be nicht
  • Doku­men­ta­ti­ons­pflicht: Die Ent­schei­dung gegen die Los­ver­ga­be muss umfas­send doku­men­tiert wer­den, und zwar vor der Bekannt­ma­chung. Ein Nach­schie­ben von Grün­den ist hoch­ris­kant und im Streit­fall unzu­rei­chend. 

Tipps für Bie­ter und Bewer­ber: Los­bil­dung und Rechts­weg prü­fen 

Das Urteil zeigt, dass Bie­ter selbst bei ver­meint­lich kla­ren natio­na­len Bau­aus­schrei­bun­gen den Rechts­weg erfolg­reich beschrei­ten kön­nen. 

  • Prü­fung des Haupt­ge­gen­stands: Wenn Sie sich auf­grund des gemisch­ten Cha­rak­ters (Bau und Technik/IT) von der Teil­nah­me aus­ge­schlos­sen füh­len, prü­fen Sie, ob der tat­säch­li­che Schwer­punkt der Leis­tung auf der Lie­fer- und Dienst­leis­tung liegt. Der nied­ri­ge­re Schwel­len­wert für Lie­fer- und Dienst­leis­tun­gen eröff­net den Ober­schwel­len-Rechts­schutz
  • Rüge der Gesamt­ver­ga­be: Prü­fen Sie, ob eine Fach­los­bil­dung mög­lich wäre. Der AG muss eine Gesamt­ver­ga­be inten­siv begrün­den. Rügen Sie, wenn die Begrün­dung des AG ledig­lich auf typi­schen, imma­nen­ten Nach­tei­len der Los­ver­ga­be beruht. 
  • Antrags­be­fug­nis ohne Ange­bot: Auch ohne Abga­be eines Ange­bots kön­nen Sie antrags­be­fugt sein, wenn der gel­tend gemach­te Ver­ga­be­rechts­ver­stoß (z. B. unter­blie­be­ne Losauf­tei­lung) Sie schlüs­sig an der Abga­be eines chan­cen­rei­chen Ange­bots gehin­dert hat. 
Hin­weis: Die­ser Rechts­tipp ersetzt kei­nen anwalt­li­chen Rat im Ein­zel­fall. Er ist natur­ge­mäß unvoll­stän­dig, auch ist er nicht auf Ihren Fall bezo­gen und stellt zudem eine Moment­auf­nah­me dar, da sich gesetz­li­che Grund­la­gen und Recht­spre­chung im Lauf der Zeit ändern. Er kann und will nicht alle denk­ba­ren Kon­stel­la­tio­nen abde­cken, dient Unter­hal­tungs- und Erst­ori­en­tie­rungs­zwe­cken und soll Sie zur früh­zei­ti­gen Abklä­rung von Rechts­fra­gen moti­vie­ren, nicht aber davon abhal­ten. aban­te Rechts­an­wäl­te war nicht am Ver­fah­ren betei­ligt und hat kei­ne Par­tei im Streit­ver­fah­ren ver­tre­ten.

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