Anspruch auf Berücksichtigung in einem Auswahlverfahren, das die verwaltungsrechtliche Vergabe von Leistungen der Notfallrettung zum Gegenstand hat.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 26. September 2023 – 3 Bs 86/23 (juris)
Leitsätze
- Das HmbRDG ist verfassungsmäßig. Die Anwendbarkeit der Bereichsausnahme gemäß § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB wird durch die Beschränkungsmöglichkeit in § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbRDG nicht berührt, sodass eine etwaige fehlende Gesetzgebungskompetenz des Landes nicht zu beanstanden ist.
- Bei der Entscheidung, von der Beschränkungsmöglichkeit des § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbRDG Gebrauch zu machen, hat sich die erforderliche Abwägung primär am Zweck der vorgenannten Ermessensnorm zu orientieren.
- Bis zu einer gewissen Grenze ist dem Träger von Aufgaben des öffentlichen Rettungsdienstes bei der Frage des Bedarfs an Aus- und Fortbildung der am Katastrophenschutz mitwirkenden Organisationen ein Einschätzungsspielraum zuzubilligen, der nur eingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle unterliegt.
Sachverhalt
Die Antragstellerin begehrt im Wesentlichen ihre Berücksichtigung in einem Auswahlverfahren, das die verwaltungsrechtliche Vergabe von Leistungen der Notfallrettung zum Gegenstand hat.
Die Antragstellerin, eine gemeinnützige GmbH, erbringt Leistungen im Bereich des Rettungsdienstes und ist gegenwärtig auf der Grundlage der Übergangsregelung des § 35 Abs. 1 HmbRDG im Besitz einer bis zum 16. November 2023 befristeten Genehmigung, die es ihr ermöglicht, mit neun Rettungswagen an der Notfallrettung in Hamburg teilzunehmen.
Die Antragsgegnerin machte am 24.02.2023 ihr mittlerweile viertes Auswahlverfahren unter der Bezeichnung „BIS … – Durchführung der Notfallrettung im öffentlichen Rettungsdienst in Form von neun Rettungswagen (RTW)“ bekannt, worauf sich die Antragstellerin bewarb. Alle vier Auswahlverfahren, so auch das in Streit Stehende, beinhalten eine nach § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbRDG zulässige Beschränkung des Kreises der Leistungserbringer auf gemeinnützige Organisationen im Sinne des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB, die über einen Nachweis über die Zustimmung der Antragsgegnerin zur Mitwirkung beim Katastrophenschutz verfügten.
Bisher konnte die Antragstellerin eine solche Zustimmung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 HmbKatSG nicht erfolgreich erlangen. Sie hatte es erfolglos beantragt und versucht, die Zustimmung zu ihrer Mitwirkung beim Katastrophenschutz gerichtlich zu erstreiten. Doch dies war vergeblich geblieben.
Die Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin im Ergebnis ihres vierten Auswahlverfahrens mit, dass ihre Lose auszuschließen seien, weil sie nicht über die erforderliche Zustimmung zur Mitwirkung beim Katastrophenschutz verfüge und i.Ü. ihr Angebot nicht am wirtschaftlichsten gewesen sei, sie also auch mit der Genehmigung nicht habe ausgewählt werden können. Hiergegen erhob die Antragstellerin Widerspruch und beantragte gleichzeitig die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz. Das VG lehnte den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ab. Gegen diesen ablehnenden Beschluss wendet sich die Antragstellerin nun mit einer Beschwerde am Hamburgischen Oberverwaltungsgericht.
Rechtliche Würdigung
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg bleibt ohne Erfolg. Denn die Antragstellerin habe keinen Anordnungsanspruch.
Die Antragstellerin stützt sich zunächst darauf, dass das HmbRDG formell verfassungswidrig sei.
Das OVG folgt ihr jedoch nicht. Das HmbRDG sei verfassungsmäßig. Die Anwendbarkeit der Bereichsausnahme gemäß § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB werde durch die Beschränkungsmöglichkeit in § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbRDG nicht berührt.
14 Abs. 1 Satz 2 HmbRDG gestatte es der zuständigen Behörde grundsätzlich, bei der Beauftragung mit Aufgaben des öffentlichen Rettungsdienstes den Kreis der Leistungserbringer auf gemeinnützige Organisationen im Sinne des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB, deren Mitwirkung im Katastrophenschutz der Freien und Hansestadt Hamburg gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 HmbKatSG die zuständige Behörde zugestimmt hat, zu beschränken. Es handle sich um eine „bloße gesetzliche Möglichkeit zur Beschränkung des Kreises der Leistungserbringer auf solche gemeinnützigen Organisationen, die im Katastrophenschutz mitwirken dürfen“. Diese unterlaufe § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB nicht. Dies sehe auch das Oberlandesgericht Düsseldorf nicht anders (Beschluss vom 22. März 2023 – VII-Verg 28/22). Denn das Landesrecht Hamburgs sehe gerade keine Gleichbehandlung von gewerblichen und gemeinnützigen Anbietern vor, sodass § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB gerade nicht ausgehebelt werde.
Auch die materielle Verfassungsmäßigkeit steht für das OVG außer Zweifel. Das Gesetz sehe kein unzulässiges Verwaltungsmonopol vor, verletze nicht Art. 3 GG und auch nicht Art. 12 GG und sei auch kein unzulässiges Einzelfallgesetz.
In zweiter Linie wendet sich die Antragstellerin gegen die Beschränkungsentscheidung, nach der ihrer Tätigkeit beim Katastrophenschutz nicht zugestimmt worden sei. Im Vordergrund müsse die Einhaltung der Hilfsfrist stehen und dies gelinge in Hamburg nicht, weshalb zwingend weitere Dienstleister zuzulassen seien.
Auch dem kann das OVG nicht folgen. Zweck der Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbRDG sei es, durch eine Verzahnung von öffentlichem Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz das Schutzniveau auch bei der Bewältigung von Großschadenslagen und Katastrophen hochzuhalten, um so Leben und Gesundheit der Bevölkerung auch im Katastrophenfall schützen zu können. Die Behörde habe ein Ermessen, ob sie von dieser Bereichsausnahme Gebrauch machen will, welches indes dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliege. Die vorzunehmende Abwägung hat sich primär an dem vorgenannten Zweck der konkreten Ermessensnorm zu orientieren. Das öffentliche Interesse muss dem wirtschaftlichen Interesse der vom Verfahren ausgeschlossenen Unternehmen im Einzelfall überwiegen.
Danach dürfe auch der Bedarf an Aus- und Fortbildung einbezogen werden. Bei der Beurteilung des Bedarfs an Aus- und Fortbildung der am Katastrophenschutz mitwirkenden Organisationen stehe der Antragsgegnerin bis zu einer gewissen Grenze ein Einschätzungsspielraum zu, der nur eingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle unterliege. Dieser Spielraum ergebe sich aus der Zuweisung der Aufgabe des Katastrophenschutzes gem. § 2 HmbKatSG. Die Antragsgegnerin besitze bzgl. der einzusetzenden Personen- und Sachmittel die Organisationsgewalt sowie die Expertise. Sie müsse den entsprechenden Beschaffungsbedarf lediglich plausibilitätskontrollfest darlegen. Indes muss tatsächlich eine Schutzbedürftigkeit der Organisationen bestehen.
Es ist also anhand der konkreten Situation zu prüfen, ob eine Beschränkung für die Aufrechterhaltung und Verbesserung des Schutzniveaus im Katastrophenschutz erforderlich ist. Nur dann treten andere Aspekte zurück und eine Beschränkung des Wettbewerbs ist gerechtfertigt. Vorliegend sei eine solche Schutzbedürftigkeit der Organisationen gegeben, da diese noch nicht über die für das angestrebte Schutzniveau im Katastrophenschutz erforderlichen Kapazitäten verfügten. Hinsichtlich des Unternehmerinteresses ist zu berücksichtigen, dass der Ausschluss sonstiger Leistungserbringer nur für die Mitwirkung im öffentlichen Rettungsdienst der Freien und Hansestadt Hamburg und nur über einen überschaubaren Zeitraum erfolgt, die Einschränkung mithin vergleichsweise gering sei.
Die Antragstellerin hat aufgrund des überwiegenden öffentlichen Interesses keinen Anspruch auf eine Berücksichtigung im Auswahlverfahren über die Vergabe von Leistungen der Notfallrettung. Eine Möglichkeit, das gesetzgeberische Ziel des § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbRDG unter Zulassung privater Leistungserbringer zu erreichen, sah das Gericht als nicht gegeben. Die Beschränkung des Kreises der Leistungserbringer war im vorliegenden Fall rechtmäßig.
Fazit
Das OLG Düsseldorf hat letztlich in Übereinstimmung mit dem OVG NRW entschieden, dass es keine landesrechtliche Ermächtigungsgrundlage braucht, damit ein Auftraggeber die Bereichsausnahme in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB nutzen kann. Das OVG Hamburg geht nun noch einen Schritt weiter und entscheidet, dass das Landesrecht dies darüber hinaus auch ausgestalten und eine Beschränkungsentscheidung gestatten kann, ohne dass § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB tangiert ist. Dies erscheint als nicht ganz zweifelsfrei. Denn dadurch wird eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen gemeinnützigen Trägern ermöglicht, die zumindest in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB nicht angelegt ist. Die Gesetzgebungskompetenz des Landes könnte also in der Tat, so wie es die Antragstellerin auch vorbringt, zweifelhaft sein. Man wird sein, wie sich die Rechtslage in Hamburg weiter entwickelt.