Ein komplexes Thema mit klaren Prinzipien
Der Begriff des Baugrundrisikos wird in der Baurechtspraxis häufig diskutiert und mit Mythen umrankt. Das Oberlandesgericht (OLG) München hat in seinem Urteil vom 10.12.2013 (AZ: 28 U 73211 Bau) prägnant dargelegt, welche rechtlichen und tatsächlichen Aspekte bei Baugrundproblemen zu berücksichtigen sind. Unser Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht Stefan Didt hat sich in einem abante live zum Baurecht mit dem Urteil befasst und die zentralen Punkte der Entscheidung sowie deren Bedeutung für Auftraggeber und Auftragnehmer beleuchtet.
Hier gelangen Sie zum Video der Besprechung der Entscheidung:
Ein Brunnenbau mit Hindernissen
Der Fall drehte sich um einen Bauauftrag zur Errichtung eines Trinkwasserbrunnens in Bayern. Vorgesehen war eine Trockenbohrung auf eine Tiefe von 75 Metern. Während der Arbeiten kam es zu Schwierigkeiten: Die eingesetzten Hilfsrohre konnten nicht wie geplant entfernt werden. Der Versuch, diese gewaltsam zu lösen, führte zum Bruch der Anlage und zur Unbrauchbarkeit des Brunnens. Der Auftraggeber kündigte daraufhin den Vertrag, beauftragte ein anderes Unternehmen mit der Fertigstellung und machte die Mehrkosten geltend.
Die zentrale Frage des Rechtsstreits lautete: Wer trägt das Risiko für den ungeeigneten Baugrund? Ist der Auftragnehmer für die Schäden und die daraus resultierenden Störungen im Bauablauf verantwortlich, oder liegt das Risiko beim Auftraggeber?
Klärung durch das OLG München
Das Landgericht München hatte ursprünglich dem Auftraggeber Recht gegeben und den Auftragnehmer zur Zahlung verurteilt. Das OLG München kam in der Berufung jedoch zu einem anderen Ergebnis:
1. Grundsatz des Baugrundrisikos: Das Gericht stellte klar, dass das Baugrundrisiko nicht automatisch dem Auftraggeber zugewiesen wird. Stattdessen ist entscheidend, was vertraglich vereinbart wurde und ob der Auftragnehmer bestimmte Risiken übernommen hat.
2. Individuelle Vertragsgestaltung: Baugrundrisiken können im Rahmen eines Bauvertrags ausdrücklich auf den Auftragnehmer übertragen werden, sofern der Auftraggeber seiner Untersuchungspflicht nachkommt und die relevanten Informationen über den Baugrund transparent macht.
3. AGB-Klausel unwirksam: Im vorliegenden Fall enthielt der Vertrag eine Klausel, die den Auftragnehmer verpflichtete, Bohrungen bei schwierigen Untergrundverhältnissen auf eigenes Risiko durchzuführen. Nach Auffassung des Gerichts ist diese Klausel jedoch unangemessen benachteiligend und damit unwirksam.
4. Kausalität der Pflichtverletzung: Das Gericht betonte außerdem, dass die Pflichtverletzung des Auftragnehmers (abweichende technische Ausführung) nicht kausal für den entstandenen Schaden war. Vielmehr war der ungeeignete Baugrund die Ursache, und dieses Risiko war nicht wirksam auf den Auftragnehmer übertragen worden.
Praktische Konsequenzen für die Vertragsgestaltung
Das Urteil unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Vertragsgestaltung und klaren Regelung von Baugrundrisiken. Auftraggeber sollten darauf achten, mögliche Risiken durch gründliche Baugrunduntersuchungen zu identifizieren und transparent zu kommunizieren. Auftragnehmer wiederum sollten darauf achten, ob und in welchem Umfang Baugrundrisiken vertraglich auf sie übertragen werden und diese bei der Angebotskalkulation berücksichtigen.
Fazit: Baugrundrisiko bleibt ein Einzelfallthema
Das OLG München hat deutlich gemacht, dass es kein allgemeines Baugrundrisiko gibt, das automatisch auf den Auftraggeber fällt. Entscheidend sind die vertraglichen Vereinbarungen sowie die konkreten Umstände des Einzelfalls. Dieses Urteil bietet wertvolle Orientierung für alle Beteiligten im Bauwesen und zeigt, wie wichtig eine fundierte rechtliche Prüfung bei Bauprojekten ist.
Weiterführende Informationen im Video
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