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03. Aktu­el­le Recht­spre­chung: Zuläs­sig­keit einer Gesamt­ver­ga­be, Anfor­de­run­gen an die Doku­men­ta­ti­on einer Gesamt­ver­ga­be, Lie­fe­rung von Fach­soft­ware

Grund­sätz­lich steht es jeder Ver­ga­be­stel­le frei, die aus­zu­schrei­ben­de Leis­tung nach ihren indi­vi­du­el­len Vor­stel­lun­gen zu bestim­men und nur in die­ser Gestalt den Wett­be­werb zu eröff­nen. Sie befin­det des­halb grund­sätz­lich allei­ne dar­über, wel­chen Umfang die zu ver­ge­ben­den Leis­tun­gen haben sol­len und ob gege­be­nen­falls meh­re­re Leis­tungs­ein­hei­ten gebil­det wer­den, die geson­dert zu ver­ge­ben sind.
Im Nach­prü­fungs­ver­fah­ren ist die Ent­schei­dung des Auf­trag­ge­bers allein dar­auf­hin zu über­prü­fen, ob sie, des­sen Erkennt­nis­ho­ri­zont zur Zeit der Ent­schei­dung über die Fest­le­gung des Beschaf­fungs­ge­gen­stan­des zugrun­de gelegt, nicht auf sach­frem­den, will­kür­li­chen oder dis­kri­mi­nie­ren­den Erwä­gun­gen beruh­te; hier­bei kommt der Ver­ga­be­stel­le ein erheb­li­cher Beur­tei­lungs­spiel­raum zu.
Ist die Fest­le­gung des Beschaf­fungs­be­darfs auf­grund sach­li­cher und auf­trags­be­zo­ge­ner Grün­de dis­kri­mi­nie­rungs­frei erfolgt, so ist eine sich hier­aus erge­ben­de, wett­be­werbs­ver­en­gen­de Wir­kung grund­sätz­lich hin­zu­neh­men.
Beschränkt wird die Frei­heit, den Beschaf­fungs­be­darf auto­nom zu bestim­men dadurch, dass aus Grün­den der Stär­kung des Mit­tel­stands Leis­tun­gen grund­sätz­lich in Losen zu ver­ge­ben sind, § 97 Abs. 4 S. 2 GWB.
Vor­aus­set­zung ist zunächst, dass die aus­ge­schrie­be­ne Leis­tung los­wei­se ver­ge­ben wer­den kann. Für die­se Fest­stel­lung ist ins­be­son­de­re vom Belang, ob sich für die spe­zi­el­le Leis­tung ein eige­ner Anbie­ter­markt mit spe­zia­li­sier­ten Fach­un­ter­neh­men her­aus­ge­bil­det hat; hier­bei sind die aktu­el­len Markt­ver­hält­nis­se von wesent­li­cher Bedeu­tung.
Eine Gesamt­ver­ga­be ist nur aus­nahms­wei­se zuläs­sig, wenn wirt­schaft­li­che oder tech­ni­sche Grün­de dies erfor­dern, § 97 Abs. 4 S. 3 GWB. Die Vor­schrift bestimmt aber nicht, dass eine Gesamt­ver­ga­be nur bei Vor­lie­gen eines objek­tiv zwin­gen­den Grun­des erfol­gen darf. Aller­dings hat sich der öffent­li­che Auf­trag­ge­ber bei einer beab­sich­tig­ten Gesamt­ver­ga­be in beson­de­rer Wei­se mit dem grund­sätz­li­chen Gebot einer Fach­los­ver­ga­be und den im kon­kre­ten Fall dage­gen spre­chen­den Grün­den aus­ein­an­der­zu­set­zen und eine umfas­sen­de Abwä­gung der wider­strei­ten­den Belan­ge vor­zu­neh­men, als deren Ergeb­nis die für eine zusam­men­fas­sen­de Ver­ga­be spre­chen­den tech­ni­schen und wirt­schaft­li­chen Grün­de über­wie­gen müs­sen.
Für das Maß eines Über­wie­gens las­sen sich kei­ne all­ge­mei­nen Regeln auf­stel­len. Eben­so wenig hat die Antrag­stel­le­rin, auch wenn sie ein mit­tel­stän­di­sches Unter­neh­men ist, Anspruch dar­auf, dass die Antrags­geg­ne­rin Lose bil­det, die ihr genehm sind und die in ihr Ange­bots­port­fo­lio pas­sen (vgl. Senat, Beschluss vom 06.04.2011, 15 Verg 3/11 – juris Rn. 57).

Die Über­prü­fung erfolgt anhand der im Ver­ga­be­ver­merk zeit­nah doku­men­tier­ten Abwä­gung.
Der aus einer Los­ver­ga­be resul­tie­ren­de Koor­di­nie­rungs­auf­wand sowie die sich an Schnitt­stel­len erge­ben­den Risi­ken sind als wirt­schaft­li­che Aspek­te in die Ent­schei­dung ein­zu­be­zie­hen. Tech­ni­sche Grün­de sind sol­che, die eine Inte­gra­ti­on aller Leis­tungs­schrit­te in einer Hand zur Errei­chung des vom Auf­trag­ge­ber ange­streb­ten Qua­li­täts­ni­veaus not­wen­dig machen. Aller­dings kön­nen der mit einer Fach­los­ver­ga­be all­ge­mein ver­bun­de­ne Ausschreibungs‑, Prü­fungs- und Koor­di­nie­rungs­auf­wand sowie ein höhe­rer Auf­wand bei der Gewähr­leis­tung eine Gesamt­ver­ga­be für sich allein nicht recht­fer­ti­gen, weil es sich dabei um einen den Los­ver­ga­ben imma­nen­ten und damit typi­scher­wei­se ver­bun­de­nen Mehr­auf­wand han­delt, der nach dem Zweck des Geset­zes grund­sätz­lich in Kauf zu neh­men ist.

nders als die Ver­ga­be­kam­mer meint, ist für eine ord­nungs­ge­mä­ße Abwä­gung nicht erfor­der­lich, eine Gegen­über­stel­lung der posi­ti­ven Effek­te einer Gesamt­ver­ga­be und deren nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen im Ver­ga­be­ver­merk schrift­lich nie­der­zu­le­gen. Hier­mit wer­den die Anfor­de­run­gen an die Doku­men­ta­ti­on über­spannt.

Die Antrags­geg­ne­rin hat nach­voll­zieh­bar zugrun­de gelegt, dass wegen der Kom­ple­xi­tät der jewei­li­gen Betreu­ungs- und Imple­men­tie­rungs­leis­tun­gen und dem im Zusam­men­hang mit dem Rechen­zen­trums­be­trieb ste­hen­den Auf­wand des Hos­tings, ins­be­son­de­re auch vor dem Hin­ter­grund der durch häu­fi­ge Geset­zes­än­de­rung erfor­der­li­chen recht­li­chen Anpas­sun­gen die Gewähr­leis­tung einer mög­lichst ein­heit­li­che Bedien- und Sys­tem­ar­chi­tek­tur erfor­der­lich ist. Dass dies bei der Ver­ga­be an einen Anbie­ter bes­ser gewähr­leis­tet ist, liegt auf der Hand, selbst wenn die Soft­ware für die Fach­an­wen­dun­gen im Sozi­al- und Jugend­we­sen unter­schied­li­che Sys­tem­ar­chi­tek­tu­ren auf­wei­sen soll­te, wie die Antrag­stel­le­rin gel­tend macht. Dass der fle­xi­ble Ein­satz von Mit­ar­bei­tern inner­halb der Kom­mu­nen durch glei­che bzw. annä­hernd glei­che Sys­tem­ar­chi­tek­tu­ren und Bedien­vor­gän­ge erleich­tert wird und dies für eine Gesamt­ver­ga­be spricht, ist eben­falls nach­voll­zieh­bar. Das Erfor­der­nis einer ein­heit­li­chen Bedien­lo­gik brach­te die Antrags­geg­ne­rin nicht erst­mals im Ver­ga­benach­prü­fungs­ver­fah­ren vor. Bereits im Ver­ga­be­ver­merk wur­de bei­spiels­haft an einem Beschaf­fungs­be­darf des Land­krei­ses … dar­ge­stellt, dass der Kun­de eine ein­heit­li­che Bedie­nung erwar­tet. Die­ses Argu­ment ver­tief­te die Antrags­geg­ne­rin nur im Nach­prü­fungs­ver­fah­ren.

Auch die von der Antrags­geg­ne­rin ange­führ­ten erheb­li­chen finan­zi­el­len Belas­tun­gen recht­fer­ti­gen die Gesamt­ver­ga­be. Einen wirt­schaft­li­chen Grund für die Gesamt­ver­ga­be stellt es dar, dass die Mehr­kos­ten zu einer erheb­li­chen Ver­teue­rung der Leis­tung an ihre Kun­den füh­ren. Erfor­der­lich ist eine pro­jekt­be­zo­ge­ne Ver­teue­rung; all­ge­mei­ne wirt­schaft­li­che Über­le­gun­gen und die stra­te­gi­sche Aus­rich­tung rei­chen hin­ge­gen nicht. Die Antrags­geg­ne­rin hat dies beach­tet. Die über­schlä­gi­gen Berech­nun­gen bil­den eine trag­fä­hi­ge Grund­la­ge für die Pro­gno­se der Antrags­geg­ne­rin, dass die Gesamt­ver­ga­be zu erheb­li­chen Kos­ten­er­spar­nis­sen gegen­über einer Los­ver­ga­be führt. Damit trägt die Antrags­geg­ne­rin dem Gesamt­ziel des Ver­ga­be­rechts Rech­nung, wirt­schaft­lich zu beschaf­fen. Aus wirt­schaft­li­chen wie tech­ni­schen Grün­den darf es nicht zu einer der­ar­ti­gen Zer­split­te­rung der Leis­tung kom­men, dass eine ein­heit­li­che Gesamt­leis­tung nur noch mit unver­hält­nis­mä­ßi­gen Auf­wand her­zu­stel­len ist.

OLG Karls­ru­he (Ver­ga­bes­e­nat), Beschluss vom 29.04.2022 – 15 Verg 2/22 (die o.g. Ent­schei­dung der VK Baden-Würt­tem­berg auf­he­bend)

Ein­trag 04 (IT Fach­dienst)

Recht­spre­chung: Aus­le­gung der Leis­tungs­be­schrei­bung im IT-Kon­text, Aus­schluss eines Bie­ters wegen Ände­rung an den Ver­ga­be­un­ter­la­gen

Ein Aus­schluss eines Ange­bots wegen Ände­rung oder Ergän­zun­gen an den Ver­ga­be­un­ter­la­gen nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 GWB kann auch dann gerecht­fer­tigt sein, wenn nach dem Ver­ständ­nis eines infor­ma­ti­ons­tech­no­lo­gi­schen Lai­en ein Ange­bot ein­ge­reicht wur­de, das dem Leis­tungs­ver­zeich­nis ent­spricht. Maß­geb­lich dafür, ob eine Ände­rung oder Ergän­zung vor­liegt, ist der objek­ti­ve Emp­fän­ger­ho­ri­zont eines poten­ti­el­len Bie­ters aus dem ange­spro­che­nen Bie­ter­kreis der jewei­li­gen Aus­schrei­bung.
Aus der Beschrei­bung des jewei­li­gen Ein­satz­zwe­ckes kann des­halb durch Aus­le­gung nach §§ 133, 157 BGB her­vor­ge­hen, dass Pro­duk­te zwin­gend bestimm­te Funk­tio­na­li­tä­ten haben müs­sen, auch wenn die­se nicht expli­zit in der Leis­tungs­be­schrei­bung auf­ge­führt wer­den.
Zwar muss die Leis­tungs­be­schrei­bung so ein­deu­tig wie mög­lich sein, § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB. Dies bedeu­tet jedoch nicht, dass die Leis­tungs­be­schrei­bung zwin­gend so aus­zu­ge­stal­ten ist, dass sie unter Berück­sich­ti­gung aller denk­lo­gi­schen Mög­lich­kei­ten nur eine Aus­le­gungs­mög­lich­keit ent­hält. Auch bei sorg­fäl­ti­ger Erstel­lung einer Leis­tungs­be­schrei­bung kann nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, dass gerin­ge Unklar­hei­ten auf­tre­ten. Die Gren­ze zur man­geln­den Ein­deu­tig­keit ist erst dann über­schrit­ten, wenn auch nach Aus­le­gungs­be­mü­hun­gen durch fach­kun­di­ge Unter­neh­men meh­re­re Aus­le­gungs­mög­lich­kei­ten ver­blei­ben.
Gibt der Auf­trag­ge­ber an, dass Ser­ver für ein leis­tungs­star­kes hete­ro­ge­nes Rechen­clus­ter für KI-Anwen­dun­gen beschafft wer­den sol­len, ist das Leis­tungs­ver­zeich­nis in die­sem Kon­text aus­zu­le­gen.
Ein Aus­schluss eines Bie­ters ist daher gerecht­fer­tigt, wenn die­ser Leis­tun­gen anbie­tet, die nicht in das Anfor­de­rungs­pro­fil der Aus­schrei­bung pas­sen. Dies gilt auch, wenn das Ange­bot aus Sicht eines IT-Lai­en dem Leis­tungs­ver­zeich­nis ent­spricht, da für sich genom­men die objek­ti­ven Kri­te­ri­en der Leis­tungs­be­schrei­bung an die Ware in erfüllt wer­den. Ist jedoch für ein fach­kun­di­gen Bie­ter aus dem IT-Sek­tor klar, dass die Ware sich von vorn­her­ein (hier wegen der man­geln­den Mög­lich­keit der Anord­nung und Zusam­men­schal­tung von mehr als zwei GPUs) nicht für den vor­aus­ge­setz­ten Ein­satz­zweck eig­net, kann er mit Ange­bo­ten, die die Leis­tungs­kri­te­ri­en nicht erfül­len, aus­ge­schlos­sen wer­den.

OLG Karls­ru­he (Ver­ga­bes­e­nat), Beschluss vom 29.04.2022 – 15 Verg 2/22 (die o.g. Ent­schei­dung der VK Baden-Würt­tem­berg auf­he­bend)

Grund­sätz­lich steht es jeder Ver­ga­be­stel­le frei, die aus­zu­schrei­ben­de Leis­tung nach ihren indi­vi­du­el­len Vor­stel­lun­gen zu bestim­men und nur in die­ser Gestalt den Wett­be­werb zu eröff­nen. Sie befin­det des­halb grund­sätz­lich allei­ne dar­über, wel­chen Umfang die zu ver­ge­ben­den Leis­tun­gen haben sol­len und ob gege­be­nen­falls meh­re­re Leis­tungs­ein­hei­ten gebil­det wer­den, die geson­dert zu ver­ge­ben sind. Im Nach­prü­fungs­ver­fah­ren ist die Ent­schei­dung […]

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