Grundsätzlich steht es jeder Vergabestelle frei, die auszuschreibende Leistung nach ihren individuellen Vorstellungen zu bestimmen und nur in dieser Gestalt den Wettbewerb zu eröffnen. Sie befindet deshalb grundsätzlich alleine darüber, welchen Umfang die zu vergebenden Leistungen haben sollen und ob gegebenenfalls mehrere Leistungseinheiten gebildet werden, die gesondert zu vergeben sind.
Im Nachprüfungsverfahren ist die Entscheidung des Auftraggebers allein daraufhin zu überprüfen, ob sie, dessen Erkenntnishorizont zur Zeit der Entscheidung über die Festlegung des Beschaffungsgegenstandes zugrunde gelegt, nicht auf sachfremden, willkürlichen oder diskriminierenden Erwägungen beruhte; hierbei kommt der Vergabestelle ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu.
Ist die Festlegung des Beschaffungsbedarfs aufgrund sachlicher und auftragsbezogener Gründe diskriminierungsfrei erfolgt, so ist eine sich hieraus ergebende, wettbewerbsverengende Wirkung grundsätzlich hinzunehmen.
Beschränkt wird die Freiheit, den Beschaffungsbedarf autonom zu bestimmen dadurch, dass aus Gründen der Stärkung des Mittelstands Leistungen grundsätzlich in Losen zu vergeben sind, § 97 Abs. 4 S. 2 GWB.
Voraussetzung ist zunächst, dass die ausgeschriebene Leistung losweise vergeben werden kann. Für diese Feststellung ist insbesondere vom Belang, ob sich für die spezielle Leistung ein eigener Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen herausgebildet hat; hierbei sind die aktuellen Marktverhältnisse von wesentlicher Bedeutung.
Eine Gesamtvergabe ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern, § 97 Abs. 4 S. 3 GWB. Die Vorschrift bestimmt aber nicht, dass eine Gesamtvergabe nur bei Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes erfolgen darf. Allerdings hat sich der öffentliche Auftraggeber bei einer beabsichtigten Gesamtvergabe in besonderer Weise mit dem grundsätzlichen Gebot einer Fachlosvergabe und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen auseinanderzusetzen und eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange vorzunehmen, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssen.
Für das Maß eines Überwiegens lassen sich keine allgemeinen Regeln aufstellen. Ebenso wenig hat die Antragstellerin, auch wenn sie ein mittelständisches Unternehmen ist, Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin Lose bildet, die ihr genehm sind und die in ihr Angebotsportfolio passen (vgl. Senat, Beschluss vom 06.04.2011, 15 Verg 3/11 – juris Rn. 57).
Die Überprüfung erfolgt anhand der im Vergabevermerk zeitnah dokumentierten Abwägung.
Der aus einer Losvergabe resultierende Koordinierungsaufwand sowie die sich an Schnittstellen ergebenden Risiken sind als wirtschaftliche Aspekte in die Entscheidung einzubeziehen. Technische Gründe sind solche, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen. Allerdings können der mit einer Fachlosvergabe allgemein verbundene Ausschreibungs‑, Prüfungs- und Koordinierungsaufwand sowie ein höherer Aufwand bei der Gewährleistung eine Gesamtvergabe für sich allein nicht rechtfertigen, weil es sich dabei um einen den Losvergaben immanenten und damit typischerweise verbundenen Mehraufwand handelt, der nach dem Zweck des Gesetzes grundsätzlich in Kauf zu nehmen ist.
nders als die Vergabekammer meint, ist für eine ordnungsgemäße Abwägung nicht erforderlich, eine Gegenüberstellung der positiven Effekte einer Gesamtvergabe und deren negative Auswirkungen im Vergabevermerk schriftlich niederzulegen. Hiermit werden die Anforderungen an die Dokumentation überspannt.
Die Antragsgegnerin hat nachvollziehbar zugrunde gelegt, dass wegen der Komplexität der jeweiligen Betreuungs- und Implementierungsleistungen und dem im Zusammenhang mit dem Rechenzentrumsbetrieb stehenden Aufwand des Hostings, insbesondere auch vor dem Hintergrund der durch häufige Gesetzesänderung erforderlichen rechtlichen Anpassungen die Gewährleistung einer möglichst einheitliche Bedien- und Systemarchitektur erforderlich ist. Dass dies bei der Vergabe an einen Anbieter besser gewährleistet ist, liegt auf der Hand, selbst wenn die Software für die Fachanwendungen im Sozial- und Jugendwesen unterschiedliche Systemarchitekturen aufweisen sollte, wie die Antragstellerin geltend macht. Dass der flexible Einsatz von Mitarbeitern innerhalb der Kommunen durch gleiche bzw. annähernd gleiche Systemarchitekturen und Bedienvorgänge erleichtert wird und dies für eine Gesamtvergabe spricht, ist ebenfalls nachvollziehbar. Das Erfordernis einer einheitlichen Bedienlogik brachte die Antragsgegnerin nicht erstmals im Vergabenachprüfungsverfahren vor. Bereits im Vergabevermerk wurde beispielshaft an einem Beschaffungsbedarf des Landkreises … dargestellt, dass der Kunde eine einheitliche Bedienung erwartet. Dieses Argument vertiefte die Antragsgegnerin nur im Nachprüfungsverfahren.
Auch die von der Antragsgegnerin angeführten erheblichen finanziellen Belastungen rechtfertigen die Gesamtvergabe. Einen wirtschaftlichen Grund für die Gesamtvergabe stellt es dar, dass die Mehrkosten zu einer erheblichen Verteuerung der Leistung an ihre Kunden führen. Erforderlich ist eine projektbezogene Verteuerung; allgemeine wirtschaftliche Überlegungen und die strategische Ausrichtung reichen hingegen nicht. Die Antragsgegnerin hat dies beachtet. Die überschlägigen Berechnungen bilden eine tragfähige Grundlage für die Prognose der Antragsgegnerin, dass die Gesamtvergabe zu erheblichen Kostenersparnissen gegenüber einer Losvergabe führt. Damit trägt die Antragsgegnerin dem Gesamtziel des Vergaberechts Rechnung, wirtschaftlich zu beschaffen. Aus wirtschaftlichen wie technischen Gründen darf es nicht zu einer derartigen Zersplitterung der Leistung kommen, dass eine einheitliche Gesamtleistung nur noch mit unverhältnismäßigen Aufwand herzustellen ist.
OLG Karlsruhe (Vergabesenat), Beschluss vom 29.04.2022 – 15 Verg 2/22 (die o.g. Entscheidung der VK Baden-Württemberg aufhebend)
Eintrag 04 (IT Fachdienst)
Rechtsprechung: Auslegung der Leistungsbeschreibung im IT-Kontext, Ausschluss eines Bieters wegen Änderung an den Vergabeunterlagen
Ein Ausschluss eines Angebots wegen Änderung oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 GWB kann auch dann gerechtfertigt sein, wenn nach dem Verständnis eines informationstechnologischen Laien ein Angebot eingereicht wurde, das dem Leistungsverzeichnis entspricht. Maßgeblich dafür, ob eine Änderung oder Ergänzung vorliegt, ist der objektive Empfängerhorizont eines potentiellen Bieters aus dem angesprochenen Bieterkreis der jeweiligen Ausschreibung.
Aus der Beschreibung des jeweiligen Einsatzzweckes kann deshalb durch Auslegung nach §§ 133, 157 BGB hervorgehen, dass Produkte zwingend bestimmte Funktionalitäten haben müssen, auch wenn diese nicht explizit in der Leistungsbeschreibung aufgeführt werden.
Zwar muss die Leistungsbeschreibung so eindeutig wie möglich sein, § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Leistungsbeschreibung zwingend so auszugestalten ist, dass sie unter Berücksichtigung aller denklogischen Möglichkeiten nur eine Auslegungsmöglichkeit enthält. Auch bei sorgfältiger Erstellung einer Leistungsbeschreibung kann nicht ausgeschlossen werden, dass geringe Unklarheiten auftreten. Die Grenze zur mangelnden Eindeutigkeit ist erst dann überschritten, wenn auch nach Auslegungsbemühungen durch fachkundige Unternehmen mehrere Auslegungsmöglichkeiten verbleiben.
Gibt der Auftraggeber an, dass Server für ein leistungsstarkes heterogenes Rechencluster für KI-Anwendungen beschafft werden sollen, ist das Leistungsverzeichnis in diesem Kontext auszulegen.
Ein Ausschluss eines Bieters ist daher gerechtfertigt, wenn dieser Leistungen anbietet, die nicht in das Anforderungsprofil der Ausschreibung passen. Dies gilt auch, wenn das Angebot aus Sicht eines IT-Laien dem Leistungsverzeichnis entspricht, da für sich genommen die objektiven Kriterien der Leistungsbeschreibung an die Ware in erfüllt werden. Ist jedoch für ein fachkundigen Bieter aus dem IT-Sektor klar, dass die Ware sich von vornherein (hier wegen der mangelnden Möglichkeit der Anordnung und Zusammenschaltung von mehr als zwei GPUs) nicht für den vorausgesetzten Einsatzzweck eignet, kann er mit Angeboten, die die Leistungskriterien nicht erfüllen, ausgeschlossen werden.
OLG Karlsruhe (Vergabesenat), Beschluss vom 29.04.2022 – 15 Verg 2/22 (die o.g. Entscheidung der VK Baden-Württemberg aufhebend)