BGH ent­schei­det zur Ver­ga­be­sper­re*

Der Bun­des­ge­richts­hof (Urteil vom 3. Juni 2020, Az.: XIII ZR 22/19) hat sich klar posi­tio­niert: Wer von Ver­ga­be­ver­fah­ren aus­ge­schlos­sen wird, hat Rechts­schutz. Egal, ob der Aus­schluss in einem kon­kre­ten Ver­ga­be­ver­fah­ren ver­fügt wird oder all­ge­mein und für die Zukunft gel­ten soll. Zwei­ter wich­ti­ger Punkt: Bei Inter­es­sen­kon­flik­ten soll der Auf­trag­ge­ber zunächst vor der eige­nen Tür keh­ren.

Aus­gangs­la­ge

Ein Ber­li­ner Fall. Der Klä­ger ist ein ein­ge­tra­ge­ner Ver­ein, der öko­lo­gi­sche Stu­di­en durch­führt und wis­sen­schaft­li­che Gut­ach­ten erstellt. Ein Mit­ar­bei­ter die­ses Ver­eins ist mit einer beson­ders hoch­ran­gi­gen Mit­ar­bei­te­rin des Auf­trag­ge­bers und Beklag­ten ver­hei­ra­tet, näm­lich der Sena­to­rin für Umwelt, Ver­kehr und Kli­ma­schutz. Der Staats­se­kre­tär der Senats­ver­wal­tung für Umwelt, Ver­kehr und Kli­ma­schutz, also sozu­sa­gen die Num­mer 2, erließ nun eine ver­häng­nis­vol­le Wei­sung. Per E‑Mail wies er die Abtei­lungs­lei­ter an, den Ver­ein zur Ver­mei­dung eines Inter­es­sen­kon­flikts nicht mehr zu beauf­tra­gen und Ange­bo­te des Ver­eins als unge­eig­net aus­zu­schlie­ßen.

Der Ver­ein ließ sich das nicht gefal­len und klag­te auf Auf­he­bung der Ver­ga­be­sper­re. Nach­dem das Land­ge­richt der Kla­ge statt­ge­ge­ben hat­te, erging ein selt­sa­mes Urteil des Kam­mer­ge­richts. …

Kern­aus­sa­ge 1: Es gibt Rechts­schutz auch gegen all­ge­mei­ne Ver­ga­be­sper­ren

Die vom Kam­mer­ge­richt viel­leicht mit Absicht pro­vo­zier­te Kern­aus­sa­ge Nr. 1 des Bun­des­ge­richts­hofs lau­tet: Es gibt Rechts­schutz gegen Ver­ga­be­sper­ren, auch wenn sie außer­halb kon­kre­ter Ver­ga­be­ver­fah­ren, also gleich­sam abs­trakt für die Zukunft, ver­hängt wer­den. Der betrof­fe­ne Bie­ter kann zum Zivil­ge­richt auf Auf­he­bung sol­cher Sper­ren kla­gen. Die­se Kern­aus­sa­ge ist wich­tig. Denn sehr oft erfah­ren gesperr­te Bie­ter schon nicht von klei­ne­ren Ver­ga­be­ver­fah­ren. Sie wer­den aus der Bie­ter­lis­te ent­fernt und nicht mehr ange­ru­fen. Wie also sol­len sie in einem kon­kre­ten, gera­de andau­ern­den Ver­ga­be­ver­fah­ren um Rechts­schutz ersu­chen? Das ist nicht mög­lich, und das hat auch der Bun­des­ge­richts­hof erkannt. Für alle von Ver­ga­be­sper­ren betrof­fe­nen Unter­neh­men bedeu­tet dies: Sie müs­sen nicht abwar­ten, bis sie mög­li­cher­wei­se von einer Ver­ga­be erfah­ren oder sich auf gut Glück an einer Ver­ga­be betei­li­gen und dann gegen die Aus­schluss­ent­schei­dung vor­ge­hen. Sie kön­nen viel­mehr schlicht auf Auf­he­bung der Ver­ga­be­sper­re kla­gen, wenn sie der begrün­de­ten Ansicht sind, die Ver­ga­be­sper­re sei rechts­wid­rig. Für alle Auf­trag­ge­ber heißt dies: Vor­sicht bei der nach außen ver­kün­de­ten Aus­sa­ge, ein Bie­ter sei künf­tig nicht mehr zu betei­li­gen. Schon wegen der feh­len­den zeit­li­chen Begren­zung einer sol­chen Sper­re, aber auch mög­li­cher­wei­se wegen der feh­len­den inhalt­li­chen Ein­schrän­kung muss mit einer Kla­ge gerech­net wer­den. Über­le­gen Sie es sich also gut, ob und wie Sie ein Unter­neh­men von der Teil­nah­me an Ver­ga­be­ver­fah­ren aus­sper­ren.

Kern­aus­sa­ge 2: Der Auf­trag­ge­ber muss zunächst vor der eige­nen Tür keh­ren (und kein Sach­ver­halt ist jemals gleich)

Ein in der Pra­xis bedeut­sa­mer Aus­schluss­grund ist der Inter­es­sen­kon­flikt von an der Ver­ga­be mit­wir­ken­den Per­so­nen. Hier stell­te sich eine ein­fa­che Fra­ge: Hat die Sena­to­rin tat­säch­lich irgend­was mit der Ver­ga­be von eher unbe­deu­ten­den Auf­trä­gen an einen Ver­ein zu tun, in dem ihr Ehe­mann – mög­li­cher­wei­se auch noch in einem ganz ande­ren Gebiet – arbei­tet?

Der recht­li­che Auf­hän­ger ist § 124 Abs. 1 Nr. 5 GWB. Danach kann der öffent­li­che Auf­trag­ge­ber ein Unter­neh­men von der Ver­ga­be aus­schlie­ßen, wenn ein Inter­es­sen­kon­flikt bei der Durch­füh­rung des Ver­ga­be­ver­fah­rens besteht, der durch ande­re, weni­ger ein­schnei­den­de Maß­nah­men nicht besei­tigt wer­den kann. Sinn­ge­mäß, so der Bun­des­ge­richts­hof, müs­se die­se Rege­lung auch außer­halb kon­kre­ter Ver­ga­be­ver­fah­ren gel­ten. Man kann ergän­zen, dass vie­le Bun­des­län­der für den Bereich „unter­halb der EU-Schwel­len­wer­te“ auch ent­spre­chend lau­ten­de Rege­lun­gen erlas­sen haben. D.h., der Grund­satz ist ver­all­ge­mei­ner­bar. Wer einen Inter­es­sen­kon­flikt hat, darf nicht mit­ma­chen, es sei denn, der Inter­es­sen­kon­flikt lässt sich durch ande­re, weni­ger ein­schnei­den­de Maß­nah­men besei­ti­gen.

Die hier ent­schei­den­de Fra­ge war nun, ob schon dann ein Inter­es­sen­kon­flikt vor­liegt, wenn der eine Ehe­gat­te beim öffent­li­chen Auf­trag­ge­ber etwas zu sagen habe, wäh­rend der ande­re in einem Bie­ter­un­ter­neh­men arbei­te. Das Gesetz ist an die­ser Stel­le hart. Nach § 6 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Nr. 3a VgV wird ver­mu­tet, dass der betref­fen­de Auf­trag­ge­ber-Mit­ar­bei­ter in einem Inter­es­sen­kon­flikt steht, wenn sein Ehe­gat­te bei einem Bewer­ber oder Bie­ter gegen Ent­gelt beschäf­tigt ist.

Doch führt das zum zwin­gen­den Aus­schluss? Die Ulti­ma Ratio in sol­chen Fäl­len lau­tet dahin, den Bewer­ber oder Bie­ter aus­zu­schlie­ßen. Aller­dings nur dann, wenn der Inter­es­sen­kon­flikt nicht auch anders aus­ge­räumt wer­den kann. Es ist eben gera­de eine Ulti­ma Ratio. Dem­ge­gen­über hält der BGH fest, dass zunächst der öffent­li­che Auf­trag­ge­ber auf­ge­for­dert sei, Orga­ne oder Mit­ar­bei­ter, bei denen der Inter­es­sen­kon­flikt bestehe, von der Mit­wir­kung am Ver­ga­be­ver­fah­ren aus­zu­schlie­ßen. Dies muss natür­lich, das darf ergänzt wer­den, auch sau­ber doku­men­tiert wer­den.

Im Ber­li­ner Fall ent­schied der BGH ent­spre­chend. Die Senats­ver­wal­tung sol­le sicher­stel­len, dass die Sena­to­rin nicht an Ver­ga­be­ver­fah­ren mit­wir­ke, an denen der Arbeit­ge­ber ihres Ehe­gat­tens sich betei­li­gen wer­de. Das rei­che voll­kom­men aus. Zumal der Ehe­mann der Sena­to­rin kein Direk­ti­ons­recht, geschwei­ge denn Per­so­nal­ver­wal­tung habe.

Fazit

Öffent­li­che Auf­trag­ge­ber ken­nen das Sach­pro­blem aus den unter­schied­lichs­ten Zusam­men­hän­gen. In jedem Gemein­de­rat fin­den sich Mit­glie­der, die das eine oder ande­re Mal wegen eines Inter­es­sen­kon­flikts nicht mit­stim­men. Also nichts Neu­es unter der Son­ne? Nicht ganz. Die Pra­xis, unab­hän­gig von einer kon­kre­ten Ver­ga­be eine Ver­ga­be­sper­re zu ver­hän­gen, ist wei­ter unter Druck gera­ten.

Bie­ter kön­nen sich freu­en. Sie müs­sen kei­ne „haus­in­ter­nen“ Ver­fü­gun­gen fürch­ten. Wenn ein Bie­ter erfährt, dass er auf einer wie auch immer gear­te­ten „Schwar­zen Lis­te“ steht, heißt es „Angriff ist die bes­te Ver­tei­di­gung“. Der Bun­des­ge­richts­hof hat die­se Tür weit auf­ge­sto­ßen.

*Die­ser Rechts­tipp ersetzt kei­nen anwalt­li­chen Rat im Ein­zel­fall. Er ist natur­ge­mäß unvoll­stän­dig, auch ist er nicht auf Ihren Fall bezo­gen und stellt zudem eine Moment­auf­nah­me dar, da sich gesetz­li­che Grund­la­gen und Recht­spre­chung im Lauf der Zeit ändern. Er kann und will nicht alle denk­ba­ren Kon­stel­la­tio­nen abde­cken, dient Unter­hal­tungs- und Erst­ori­en­tie­rungs­zwe­cken und soll Sie zur früh­zei­ti­gen Abklä­rung von Rechts­fra­gen moti­vie­ren, nicht aber davon abhal­ten.

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